Freitag, 29. März 2013

Kommt dort nicht der Weihnachtsmann (1) 18 Slash


Teil 1              enthält homoerotische Inhalte                 ab 18             slash


Kommt Dort nicht der Weihnachtsmann                   Drama/Lovestory



Weihnachten am Strand 



Wir schreiben den 25.Dezember 2007, es ist so etwa 20 vor 11 Uhr am Vormittag und ich liege  am Strand, inmitten einer Runde von  Leuten, die sich  auf  Liegestühlen in der Vormittagssonne aalen. Wir befinden uns unweit der Ortschaft Strand, die in der Nähe von Stellenbosch liegt. Das wiederum liegt etwa fünfzig Kilometer von Kapstadt entfernt in  der Republik Südafrika und ist  als Weinregion bekannt.

Stellenbosch ist nach Kapstadt die älteste Ansiedlung von Weißen in Südafrika und liegt in einer der fruchtbarsten Regionen des Landes. Auf Grund der sehr zahlreich angepflanzten Eichenbäume nennt man Stellenbosch auch die Stadt der Eichen. Viele grüne Täler im Umland beherbergen die zahlreichen Weingüter, die durch ihre vielfältigen Produkte in der Welt bekannt sind. Auch die Universität in Stellenbosch hat einen guten Namen über die Grenzen des Landes hinaus. Der Bezirk hat etwa einhundert tausend Einwohner und ist eine bevorzugte Wohngegend. 

In etwa sechzig Meter Entfernung laufen die sanften Wellen des Meeres auf den Strand auf und wenn das Wasser ein bisschen wärmer wäre als fünfzehn Grad, dann wäre hier der allerschönste Badestrand. So aber sieht man nur selten jemanden, der es mit der kühlen Flut aufnimmt und der dann doch meist nach ein paar Minuten schnell wieder den von der Sonne erwärmten Strand aufsucht, um sich bei fünfundzwanzig bis dreißig und manchmal noch mehr Graden wieder auf zu wärmen.

Ich bin Jan, Jan de Martens, einundzwanzig Jahre alt, 1,85 Meter groß, und in der Nähe von Stellenbosch auf dem Weingut meiner Eltern am 26.12.1986 als zweites Kind geboren worden. Ich bin also, wenn man so will,  fast ein Christkindchen. Meine Schwester Mareike ist vier Jahre davor im Oktober geboren worden und ist im Gegensatz zu mir bereits seit drei Jahren verheiratet und wurde schon fünf Monate nach der Hochzeit Mutter von Zwillingen. Die krabbelten gerade fünfzehn Meter von mir entfernt im Sand herum und spielten mit Sieb und Förmchen

Mein Vater Chris ist auf unserem Weingut geboren und hat den Besitz von seinem Vater übernommen.  Vater hat  als junger Mann für eine Zeit lang in Deutschland, im Rheingau studiert und auch nebenher noch im Weinbau gearbeitet. Dabei hat er meine Mutter Susanne kennengelernt, die auf dem Weingut ihrer Eltern in Martinsthal im Rheingau lebte und ebenfalls zur gleichen Zeit Weinbau studiert hat. Sie haben dann in Deutschland geheiratet und sind dann nach Stellenbosch gezogen und haben das Weingut von den Großeltern übernommen.

Sieben Jahre nach meiner Geburt legen meine Eltern dann noch einmal nach und 17.11.1993 bekommt meine Mutter Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen. Die werden einen Monat später auf die Namen Jerome und Anna Maria getauft. Die zwei spielen achtzig Meter weit entfernt Federball oder Neudeutsch Badminton. Beide sind letzten Monat 14 Jahre alt geworden, sind  ziemlich sportlich und sie besuchen das gleiche Gymnasium, auf das auch ich gegangen bin.

Die Sonne steht schon hoch und die Temperatur dürfte die fünfundzwanzig Grad schon überschritten haben. Wir, das sind alle aus unsrer Familie, treffen uns jedes Jahr an Weihnachten hier am Strand, um zusammen zu grillen, einen schönen Weihnachtstag zu verbringen und auch, um uns gegenseitig zu beschenken. 

Der Knüller bei unserer Weihnacht hier am Strand ist der große, bunt geschmückte Tannenbaum, den meine Mutter jedes Jahr hier im  Sand aufstellt. Das hat hier am Strand schon Tradition, und die anderen Familien, welche ebenfalls hier ihre Weihnachtsgrillen veranstalten, kommen mal vorbei, um den Baum zu bestaunen und ein frohes Fest zu wünschen.

Leider ist bei mir dieses Jahr die Stimmung total im Keller und ich wäre froh, wenn die ganze Weihnacht schon zu Ende wäre. Ich bin tief traurig, denn die Ereignisse der letzten Monate haben meine Zukunftspläne total durcheinander gebracht. Den totalen Absturz von Wolke 7 zurück in die harte Wirklichkeit habe ich selbst nach fast fünf Monaten noch nicht verdaut. 

Das ist leider nicht das erste Mal, dass mein Leben total aus den Fugen gerät und von den Auswirkungen dieses tragischen Ereignisses  vor 2 Jahren habe ich mich nur sehr schwer erholt.

Trotzdem mache ich meinen Eltern zuliebe gute Miene zu dem für mich „bösen“ Spiel, wenn man denn eine Weihnachtsfeier am Strand so bezeichnen will.

Unweit von mir sitzt mein Vater Chris Marten in einem Rollstuhl, der ihm im letzten Monat wieder ein wenig Mobilität verleiht, nach dem er die zwei Monate davor in einem Krankenhausbett verbracht hatte. Wie es dazu kam, werde ich im Verlauf meiner Erinnerungen noch berichten, da ich euch letztendlich schon alles der Reihe nach näher bringen möchte. Ich tauche in Gedanken ab und beginne damit, mein Leben wie einen Film vor mir, und auch selbstverständlich vor Euch, ablaufen zu lassen.

                                                                                                                                                            Ich wurde, wie ich bereits eingangs erwähnte, am 26.12. 1986 im Krankenhaus in Stellenbosch geboren, werde also morgen meinen einundzwanzigsten Geburtstag „feiern“, etwas , was mir zur Zeit schwer fällt und auch keine Freude aufkommen lässt. 

Auch wenn alle meine Lieben es gut mit mir meinen und bestimmt eine schöne Feier ausrichten werden, es wird mich nur wenig freuen und ich werde froh sein, wenn der Trubel vorbei ist. 

Auf unserem Weingut, es liegt etwa neun km nordöstlich von Stellenbosch in einem schönen Tal, ist es schon länger so, dass unsere schwarzen Mitarbeiter mit ihren Familien an unserem Weihnachtsessen teilnehmen. Das war sogar schon vor 1994, also zu Zeiten der Apartheid, so und hatte oft dazu geführt, dass mein Vater von anderen als Negerfreund bezeichnet und mehr als einmal auch bedroht worden ist. 

Überhaupt stellen wir unseren Mitarbeitern einen Arbeitsplatz mit  für Farbigen ungewöhnlich guten Rahmenbedingungen und angemessenen Löhnen zur Verfügung. Sie werden absolut gleichberechtigt behandelt und sind in Häusern am Rande des Gutes untergebracht. Diese Häuser hat mein Großvater Albert de Martens errichten lassen, so richtig solide mit Strom und Wasser im Haus und so ist es nicht verwunderlich, dass die Familien Mbete und Sisulu schon in der dritten  Generation bei uns arbeiten.

Die beiden Familien gehören zum Volk der Zulu, die von den Niederländern früher Kaffer genannt und die von den Niederländern und Engländern während der Kolonialzeit beinahe ausgerottet  wurden. Familie Mbete hat sechs Kinder und die Großeltern wohnen auch noch mit im Haus. Familie Sisulu hat sieben Kinder, von denen aber zwei schon nach auswärts verheiratet sind. Insgesamt sind es also siebzehn Personen, die in den beiden Häusern am östlichen Rand des Weingutes, ungefähr 300 m von unserem Haus entfernt wohnen. 

Die Erwachsenen helfen alle mehr oder weniger bei der Arbeit auf dem Weingut, aber auch im Haus, und da wir für den Eigenbedarf auch noch einiges an Vieh halten, gibt es immer genügend zu tun. Auch die heranwachsenden Kinder haben immer wieder die Gelegenheit, vor allem bei der Ernte, mit zu helfen und so ein paar Rand zu verdienen







Die Zeit mit Nelson 

                                                                                                                                                                        

Meine ersten Kindheitserinnerungen sind davon geprägt, das sich außer meinen Eltern auch unsere schwarze Familienhilfe, Köchin und Kinderfrau, Sarah Mbete, auch Mama Mbete genannt, liebevoll um uns kümmerte und mein erster Spielkamerad war ihr Sohn Nelson, der mit ein paar Wochen Unterschied fast genauso alt war, wie ich. Mit ihm machte ich erste Sandkastenerfahrungen, Exkursionen auf unserem Gut, und wir stellten im Laufe der Jahre so allerhand Blödsinn an, nicht immer zur Freude meiner und seiner Eltern. 

Mit Nelson ging ich dann auch ab 1994 zusammen ins 3. Schuljahr, eine Neuerung, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre, durften doch während der Apartheid schwarze und weiße Kinder nicht zusammen in eine Schule gehen. Die ersten zwei Schuljahre waren wir gezwungen, in  verschiedenen Schulen zu lernen.

                                                              Strand bei Strand

Eben diese Sarah, wir nennen sie immer Mama Mbete, ist gerade federführend mit der Vorbereitung des Grillfestes beschäftigt und unter dem frohen Gesang diverser Weihnachtslieder wird Feuer gemacht, Fleisch und andere Dinge wie Gemüse und Fisch zum Grillen vorbereitet. Mehrere Tische und Bänke sind aufgestellt, bereit, den vielen Essern Platz zu bieten und Weinflaschen und Gläser runden das festliche Bild ab. 

Nicht zu vergessen, der phänomenale Weihnachtsbaum, der jedes Jahr von meinem Opa in Deutschland rechtzeitig zum Fest auf die Luftreise nach Südafrika geschickt wird. Opa Conrad war halt der Meinung, wenn seine Tochter Susanne schon im heißen Afrika wohnte, sollte es ihr zumindest nicht an einem deutschen Weihnachtbaum fehlen.

                                                          Schulzeit mit Nelson

Als das 3. Schuljahr beginnt, werden wir morgens immer mit dem Auto dorthin gefahren. In unserer Klasse sind etwa dreißig Kinder, erstmals Farbige und Weiße gemischt in einer Klasse und das verläuft nicht immer reibungslos. Nelson und ich sind mittlerweile die besten Freunde und setzen uns gegen jede Diskriminierung zur Wehr. 

Einige Lehrer sind verunsichert und haben die neuen Gegebenheiten noch nicht realisiert und  wollen  auch nicht so richtig umsetzen, dass es nun keinen Unterschied mehr macht, ob ein Kind farbig oder weiß ist.

Das 3. und 4. Schuljahr geht ins Land und nach zwei Jahren wechseln wir beide, Nelson und ich, auf Grund ordentlicher Noten,  auf das Gymnasium. Hier sind deutlich mehr als die Hälfte Weiße und einigen merkt man an, das sie aus einem Elternhaus kommen, das nach wie vor die Apartheid für die bessere Gesellschaftsordnung hält als die jetzige. 

Es gibt eine Gruppe von sieben Schülern, alles Jungs, die den Farbigen und auch Nelson und mir als seinem Freund, deutliche Abneigung entgegen bringen. Da wir aber einen farbigen Klassenlehrer bekommen haben, trauen sie sich nicht, ihre Abneigung offen zu zeigen.

Im Laufe des ersten Schuljahres auf dem Gymnasium haben dann drei von den sieben Jungs die Schule gewechselt und sind auf eine private Anstalt gegangen, deren Bedingungen für den Besuch so formuliert sind, das es für Farbige so gut wie unmöglich ist, dort aufgenommen zu werden. Damals ahne ich noch nicht, dass  mir diese drei unter anderen Umständen noch einmal begegnen werden.

Unser Alltag nach der Schule besteht aus zusammen Hausaufgaben machen, Musik üben, einen Teil des Viehs  versorgen und wenn wir dann nichts Besonderes vorhaben, helfen wir auch ab und zu im Weinbau mit. Das wird von meinem Vater gerne gesehen und auch entsprechend honoriert, so dass wir fast immer über ein paar Rand verfügen und uns ab und an entweder neue Klamotten oder auch mal ein paar CDs leisten können. 

Die Eltern von Nelson bewohnen, ich habe das glaub ich schon einmal erwähnt, ein Haus in der Nähe, allerdings  nicht  geradeso komfortabel und so groß, wie es bei uns ist und so sind wir eher selten bei ihm, wenn wir Hausaufgaben machen. Darüber hinaus hat er auch noch 5 Geschwister, die alle dort wohnen und so ist dann meist auch keine Ruhe, um konzentriert arbeiten zu können. Allerdings hatte Familie Mbete schon einiges mehr an Komfort und an Errungenschaften der Zivilisation, als das bei der farbigen Bevölkerung üblich ist.

Vor gut drei Jahren hat mein Vater dann in der Nähe unseres Hauses einen ziemlich großen Schwimmingpool bauen lassen, einmal, um in den sehr heißen Monaten eine Möglichkeit der Abkühlung zu haben, andererseits aber auch als Wasserreservoir im Falle eines Feuers. Das Wasser dazu kam aus einem Bach, der aus dem oberen Teil des Tales kommend, über unser Land floss und mit ordentlichem Wasser versorgte. Hier um Stellenbosch gab es auch im Sommer keinen Wassermangel. 

Dieser Pool ist an den Sommerabenden und auch an Wochenenden ein zentraler Anlaufpunkt für alle, die hier leben und manchen Abend wurde gegrillt und ausgelassen gefeiert. Der Pool ist einfach toll und trägt wesentlich dazu bei, die heißen Tage erträglicher zu machen. Der Strom für die Umwälzanlage wurde mit einer eigens dafür installierten Photovoltaikanlage produziert, die darüber hinaus noch andere Geräte mit Strom belieferte. Mein Vater war schon sehr früh der Meinung, dass man alles tun muss, um die Umwelt zu schonen.

Im Großen und Ganzen verläuft unser Leben ohne größere Aufregungen ab und so langsam kommen wir in das Alter, in dem die Pubertät beginnt. In der Schule macht sich das dahin gehend bemerkbar, dass sich die Jungs nicht mehr nur um Ihresgleichen bemühen, sondern nun auch immer öfter Mädchen mit in die Kreise aufgenommen werden. Hier und da trifft man dann auch schon auf Pärchen, die offensichtlich schon über eine normale Freundschaft hinaus verbandelt sind. 

Weder Nelson noch ich gehören allerdings zu denen, die sich nun des Öfteren in weiblicher Gesellschaft sehen lassen.

Die vier Apartheitsbefürworter, die noch in unserer Klasse sind, tun sich besonders darin hervor, sich mit möglichst vielen Mädchenbekanntschaften zu brüsten, natürlich nur mit Weißen.  Ihr Balz und Imponiergehabe wird immer unerträglicher. In dieser Zeit, wir sind fünfzehn, beginnt es, das ich Nelson immer öfter betrachte, ihn beobachte und anfange, ihn schön zu finden. 

Das befremdet mich halt schon, weil ich zunächst mal nicht weiß,  was das zu bedeuten hat. Irgendwie  fühle ich mich zu ihm hingezogen, andererseits wehre ich mich, irgendwelche Schlüsse daraus zu ziehen. Es keimt eine Ahnung in mir auf, vor deren Gewissheit ich zunächst einmal nur Angst habe. Ich werde unsicher und manche Tage versuche ich, mich von ihm fern zu halten, was natürlich nur selten gelingt,  und weil das niemand und vor allem er nicht verstehen würde. Ich überlege krampfhaft, mit wem ich denn mal über meinen Zustand, meine Gefühle reden könnte. Abends im Bett muss ich immer wieder an ihn denken und sogar nachts träum ich von ihm, manchmal mit feuchtem Ergebnis.

Soll ich mal versuchen, mit meiner Schwester zu reden? Oder mit meiner Mutter? Was werden sie sagen? Was soll ich ihnen sagen? Dass ich mich zu Nelson hingezogen fühle? Bin ich vielleicht Schwul?? Schweiß bricht mir aus, was mach ich nur. Schwul?? Werden sie mich dann noch mögen.

Zunächst mach ich gar nichts, tue so, als wenn nichts wär. Vielleicht geht’s ja wieder vorbei, vielleicht ist es auch nur deswegen, weil ich ständig nur mit  ihm  zusammen bin. Ich muss was ändern! Unbedingt ! Aber was?  

Während ich angestrengt überlege kommt mir plötzlich eine gute Idee in den Kopf, ich müsste sie nur meinen Eltern als einen solche schmackhaft machen. Sonntagabend, beim Abendessen, Nelson ist schon nach Hause gegangen, lasse ich die Idee heraus: „Mama, ich möchte die Ferien bei Opa  Engelhardt in Deutschland verbringen, darf ich?“ Engelhardt heißt meine Mutter mit Mädchennamen.

Schweigen, erstaunte Gesichter, fragende Blicke! „Was soll das jetzt werden, wenn das fertig ist“, fragt mein Vater, ausnahmsweise mit noch halbvollem Mund. 

„ Ich möchte meine Großeltern und die deutschen Verwandten endlich einmal näher kennen lernen und auch mal sehen, wo meine Mutter aufgewachsen ist“, antworte ich etwas energischer, als man es sonst von mir gewohnt ist.

„Davon abgesehen, das ich die Idee eigentlich ganz gut finde, müssen wir doch wohl Opa erst mal fragen, ob er und Oma damit einverstanden sind, das ein bald sechszehnjähriger, pubertierender Südafrikaner mit deutschem Einschlag bereits in drei Wochen zu ihnen kommst und etwa sechs Wochen dort bleiben möchtest“, sagt Mama, „ich kann mir aber gut vorstellen, das sie beide sehr erfreut sind, endlich mal wieder einen von uns zu Gesicht zu bekommen. Seit deinem fünften Lebensjahr kennen sie dich nur noch von Bildern. Aber ich sage dir gleich, da ist jetzt Winter und der ist etwas kälter als der Winter hier bei uns. Du musst dann noch warme Kleider haben, aber das kriegen wir schon hin.“ 

„Mensch, Mama“, kommentiere ich mit rotem Kopf ihre  Ausführungen über meinen Zustand und mein Alter, was bei meinen Eltern einen kleinen Lachanfall auslöst.

Meine Schwester, die gerade das erste Mal richtig in jemanden verliebt ist, Pieter van Straaten heißt der Glückliche, macht Gott sei Dank keine Anstalten, sich ebenfalls nach Deutschland begeben zu wollen. Das würde die Sache unnötig verteuern und auch mich in meiner derzeitigen Gefühlslage nicht sonderlich begeistern. 

„Ich werde mal anrufen, aber erst später, die sitzen jetzt bestimmt auch beim Abendessen“, sagt Mutter. Ich schwanke innerlich zwischen Freude und Traurigkeit. Freude darüber, endlich mal wieder meine Großeltern zu sehen und einen gewissen Abstand zu der momentanen Situation zu bekommen, Traurigkeit aber auch, weil ich „meinen“ Nelson fast sechs Wochen nicht sehen werde und er bestimmt auch sehr traurig ist, das ich ihn so ohne weiteres die ganzen Ferien allein lassen will, wo wir doch eigentlich so viel gemeinsam machen wollten.

Innerlich etwas zerrissen, gehe ich nach dem Essen auf mein Zimmer, mache meine kleine Anlage an, die ich mir vom selbstverdienten Geld geleistet habe, und lege eine CD mit meiner Lieblingsmusik ein. (50 Cent mit „In Da Club“ und  „P.I.M.P.“) Ich legte mich aufs Bett, lauschte der Musik und horchte in mich rein, um Antworten zu finden auf all die Fragen, die so plötzlich auf mich einstürzen: „Bin ich schwul? Und mag ich Nelson, bin ich in ihn verliebt? Wie soll oder besser, wie gehe ich damit um? Was werden die anderen dazu sagen?“ 

Alles Fragen, auf die ich keine  oder keine klare Antwort finden kann. Ich schwitze, und mein Herz schlägt deutlich spürbar in meiner Brust. Vor meinen Augen taucht Nelson auf, schokoladenbraun, eine gute Figur und ein liebes Gesicht, mein bester Freund, seit ich denken kann, ich sehe ihn an und erkenne in mir, dass er mir mehr bedeutet, als ich es mir eingestehen will. Was soll ich denn tun, ich weiß es nicht. Ich bin hin und hergerissen zwischen überschwänglichen Gefühlen für ihn und Unverständnis, ja sogar Verachtung für mich selber, weil ich  offensichtlich schwul bin. 

Bin ich echt schwul, habe ich mich wirklich in Nelson verliebt?  Ich glaube es langsam, wenn ich so all die Gedanken analysiere, die ich mir über ihn mache, die Reaktionen meines Körpers, wenn wir schwimmen oder Sport haben, oder wenn ich abends im Bett liege und mich mit mir selbst vergnüge und dabei an ihn denke? Fragen über Fragen und keine wirklich klaren Antworten. Angst, Angst vor der Wahrheit, vor dem, was kommt. Warum, warum gerade ich???

 Vollkommen verschwitzt steh ich auf, die Musik ist schon lange zu Ende, und gehe ins Bad. Eine heiße Dusche wird mir gut tun, oder wäre eine kalte nicht vielleicht besser? Nackt, nur mit einem Handtuch um die Hüften lege ich mich fünfzehn Minuten später wieder auf mein Bett. 

Es klopft an meine Türe und auf mein „Herein“ kommt meine Mutter ins Zimmer. „Hallo, Jan, “ sagt sie, „ ich habe mit meinem Vater telefoniert und du kannst gerne kommen und auch deine gesamten Ferien da verbringen. Sie freuen sich wirklich Beide sehr und hoffen, dass du es dir nicht noch einmal anders überlegst. Was sagt denn Nelson zu deinen Plänen, ihr habt  doch eigentlich schon einen großen Teil eures Urlaubs verplant?“

Ich werde rot und auch ein bisschen verlegen: „Mama, Nelson weiß noch gar nichts davon. Das ist ein Spontanentschluss und ich hoffe, dass er richtig ist. Ich würde dir das ja gerne erklären, aber ich glaube nicht, das ich das jetzt kann.“ Mittlerweile hat meine Mutter sich auf mein Bett gesetzt, nimmt meine Hand und schaut mir besorgt ins Gesicht. „Du bist schon etwas seltsam in den letzten Monaten, Jan. Was bedrückt dich? Du weißt ja, dass du uns alles sagen kannst, du brauchst keine Angst zu haben, “ sagt sie und streichelt unbewusst meine Hand. Und als ich ihr in die Augen schaue, sehe ich grenzenlose Ehrlichkeit und viel Liebe.

„Mama, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, aber ich probier’s einfach mal, selbst auf die Gefahr hin, dass du und Papa mich nicht verstehen. Ich glaube, dass ich dabei bin, mich in Nelson zu verlieben, wahrscheinlich bin ich es schon. Das bedeutet aber auch, dass ich wahrscheinlich schwul bin, obwohl ich das gar nicht sein will. Deshalb will ich zu Opa, um Abstand zu gewinnen und um über diese Gefühle nachzudenken und mir Klarheit zu verschaffen, ob das nicht nur so eine Phase ist. Ich weiß im Moment nicht, wo ich wirklich stehe. Mein Herz fühlt sich zu Nelson hingezogen, während mein Verstand einfach nicht will, das ich schwul bin.“

Meine Augen habe ich geschlossen und Tränen stehlen sich unter meinen Lidern hervor. Als ich die Augen wieder aufmache, sitzt meine Mutter immer noch bei mir und streichelt meine Hand. Sie ist nicht weggelaufen, guckt mich immer noch liebevoll an. Ich richte mich auf, schlinge beide Arme um sie und fange richtig an zu weinen. Sie mag mich noch, sie liebt mich noch,  trotzdem! 

Ein großes Glücksgefühl macht sich langsam breit in mir und ich bin so froh, dass ich es nun doch gesagt habe zu Ihr. „Ach Junge, ich habe schon länger das Gefühl gehabt, das du ein großes Problem vor dir herschiebst. Aber selbst wenn du schwul bist, dann ändert sich nichts daran, dass du unser lieber Sohn bist und es auch bleiben wirst, “ sagt sie und streichelt dabei meinen Rücken,  „nun schlaf eine Nacht darüber und dann musst du dir überlegen, was du Nelson sagen willst. Ich denke, du weißt nicht, ob er deine Gefühle erwidert, ob er vielleicht auch schwul ist. Wenn nicht, musst du das akzeptieren und es wird bestimmt nicht leicht für dich werden. Na ja, und wenn er schwul wäre, heißt das ja auch noch nicht, das er dich auch liebt. Warten wir es mal ab.“

Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn und  steht auf. „Schlaf gut und rede so bald wie möglich mit Nelson. Sag ihm offen und ehrlich, was in dir vorgeht. Er ist dein Freund und er wird dich nicht hängen lassen, auch wenn er deine Gefühle nicht erwidern kann.“ Nach dem sie gegangen ist, ziehe ich eine Shorts an, hänge das Handtuch ins Bad und lege mich zum Schlafen hin. 

Meine Gedanken beruhigen sich langsam und ich bin von einer großen Last befreit. Es ist zwar weiterhin ungewiss, ob Nelson überhaupt was für mich empfindet, ich meine so liebemäßig, aber zumindest war mein Comingout keine Katastrophe. Meine Mutter hat es gut aufgenommen und mir die Gewissheit vermittelt, das sie mich genau so liebt, wie vorher auch, Mit diesem Gefühl schlafe ich ein und seit langem auch wieder mal traumlos durch, bis  mich der Wecker am nächsten Morgen aufschreckt.

Als ich nach dem Frühstück schulfertig aus dem Haus komme, ist Nelson bereits da. Er hat ein enges, weißes, ärmelloses Shirt an, das seinen gut proportionierten Oberkörper voll zur Geltung bringt. Dazu trägt er etwas weitere, quittengelbe Shorts, die einen tollen Kontrast zu seinen schönen, schokoladenfarbenen Beinen bildet. Mit anderen Worten, er sieht echt super geil aus! Ich kann mich von seinem Anblick kaum los reißen und  achte auch gar nicht darauf, dass ich ihn total anstarre und auch seine Begrüßung nehme ich nicht war.

Erst als er mir einen Knuff auf die Brust gibt, wache ich auf und stottere: „Guten  Morgen Nelson“. Er lacht laut und meint: „Was ist denn heute mit dir los, Kleiner?“ Er sagt öfter mal Kleiner zu mir, weil er etwa 5 cm grösser ist, als ich. „Gefällt dir mein Outfit nicht oder warum starrst du mich so an?“ fragt er.“Nee, nee, ist schon OK, ich war nur in Gedanken“, versuche ich mich raus zu reden. Mutter drückt auf die Hupe und deutet damit an, dass wir endlich einsteigen sollen, damit sie uns in die Schule bringen kann, bevor es zu spät ist.

Die Zwillinge sitzen schon im Auto, auch sie fahren jeden Morgen mit in die Schule. Nelsons Geschwister werden von ihrem Vater in die Schule gefahren, Nelson hingegen fährt schon seit ewigen Zeiten mit mir zusammen in die Stadt zum Schulbesuch.

Wir steigen ein und Mutter gibt so viel Gas, das die Räder des Landrovers ein bisschen durchdrehen. Sie lacht und ruft: „ Auf geht´s, festhalten, wir wollen doch mal sehen, ob wir Papa Mbete nicht noch einholen können.“ Ziemlich flott rast sie, eine Staubfahne hinter sich aufwirbelnd, der Hauptstraße entgegen und biegt mit einem eleganten Bogen in Richtung Stadt auf die gut ausgebaute Piste. In der Stadt angekommen, werden zuerst die Zwillinge an ihrer Schule abgesetzt und dann bringt sie Nelson und mich aufs Gymnasium.

Am Eingangstor zum Schulgelände stehen wie jeden Morgen die vier Schwachbacken, jeder hält noch eine Tussi, natürlich alles Weiße, im Arm und sie lästern über alle und alles, was an ihnen vorbei auf den Schulhof strömt.

Auch wir werden immer wieder mit irgendwelchen Kommentaren begrüßt, heute kommt der erste Satz von Frantje van Geldern. „Huch, schaut nur, da kommt der Martens und sein Niggerfreund, die sehen ja wieder so was von niedlich aus. Ob die wohl schwul sind?“ Großes Gelächter ertönt aus der Gruppe, wir beeilen uns, von diesen Idioten weg zu kommen. Heute Morgen denke ich, mit dem schwul hat er ja gar nicht so unrecht, zumindest bei mir.

Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie sich eines der Mädchen von der Gruppe löst und wütend ruft: „ Ihr seid doch alle krank im Kopf, mit euch will ich nichts mehr zu tun haben.“ Sie folgt uns und auf dem Weg zu unserem Klassenraum holt sie uns ein. „He, Martens, warte doch mal“, ruft sie, „ich wollte dir  und deinem Freund nur sagen, das ich nicht so denke wie diese Idioten da draußen.“ Nelson und ich bleiben stehen und schauen das Mädchen an. 

Sie ist  in der Parallelklasse  und sieht recht nett aus. „Danke, das ist nett von Dir. Wir sind diese Frechheiten schon gewöhnt und machen uns nichts daraus, “ sage ich zu ihr und Nelson meint: „Du musst aufpassen jetzt, sie werden dich jetzt auch mobben, wo sie nur können.“ „Ich kann schon auf mich aufpassen und die da draußen  wissen, dass mein großer Bruder hier bei der Polizei ist. Sie haben schon einiges mit der Polizei gehabt und wissen, dass die nicht lange fackelt, wenn Gewalt angewendet wird. Ich verstehe mich selber nicht, dass ich mich mit denen abgegeben habe, aber das kam halt wohl durch meine Freundin, die ist mit dem Frantje zusammen“, erklärt sie und reicht zuerst Nelson und dann mir die Hand, „ich heiße Esther van Breukelen und wenn ihr mal Hilfe von der Polizei braucht, oder Hinweise auf krumme Dinger habt, dann lasst es mich wissen, mein Bruder ist bei der Kriminalpolizei. So, jetzt muss ich aber los, sonst fängt der Unterricht ohne mich an und da versteht unser Pauker keinen Spaß.“

„Der Tag fängt ja wieder echtkrass an“, sage ich zu Nelson und schiebe ihn durch die Türe in unseren Klassenraum. Die erste Stunde haben wir „Afrikaans“ bei Herrn Molebatsi, einem Farbigen. Er ist der Sohn eines ziemlich bekannten ANC-Mitglieds, der im Kampf gegen die Apartheid umgekommen ist. Mit gut zwei Metern Größe und einem kräftigen, sportbetonten Körperbau strahlt er eine enorme Autorität aus und in seinen Stunden sind alle Schülerinnen und Schüler immer erstaunlich friedlich. 

Molebatsi ist auch zugleich noch unser Musiklehrer und ein großer Fan vor allem der südafrikanischen Musiker. An zweiter Stelle folgt seine Vorliebe für die Italienische Musik und er spricht perfekt italienisch,  verwendet in seinen Musikstunden immer viele italienische Ausdrücke und Begriffe. Ich habe, glaub ich, noch nicht erwähnt, dass auch Nelson und ich gelernt haben, ein Instrument zu spielen. Nelson spielt begeistert und gut Trompete und ich habe mich schon sehr früh in ein Saxophon verliebt. Seit unserem Wechsel aufs Gymnasium nehmen wir an der  Musik-AG teil und seit fünfzehn Monaten spielen wir auch im Schulorchester mit. Darauf sind wir und ganz besonders unsere Mütter stolz und wenn wir ein Konzert geben, sind sie immer mit dabei.

Die Stunde ist schnell vorbei, weiter geht es mit Geschichte und da speziell um die Entwicklung Südafrikas von den Burenkriegen bis heute. In dieser Stunde kommen natürlich wieder einige provozierende Beiträge unserer Apartheitsfreunde, die sich sonst in anderen Fächern eher zurückhalten und die leistungsmäßig im unteren Klassendrittel angesiedelt sind. 

Der Geschichtslehrer Dr.Boutolesi, ebenfalls ein Farbiger, geht souverän über die Beträge hinweg , gibt für zwei besonders üble Beiträge noch zwei Fünfer und wirft zwanzig  Minuten vor dem Ende der Stunde Frantje van Geldern aus der Klasse. Das nehmen die anderen drei zum Anlass, ebenfalls den Unterricht zu verlassen. Das führt nun folgerichtig zu einem Eintrag ins Klassenbuch und da das nicht die ersten waren, wird er sie auch noch dem Direktor melden. Das könnte unter Umständen sogar zu einem Schulverweis führen, was aber in der Klasse wohl kaum jemanden traurig stimmen wird.

Es klingelt zur Pause und da es eine große Pause ist, strömt alles nach draußen. Auch Nelson und ich begeben uns auf den Schulhof und suchen uns einen schattigen Platz. Ich bin unruhig und weiß nicht, wie ich ihm erzählen soll, dass ich nach Deutschland fahren möchte. „ Du, Jann, mir ist noch etwas eingefallen, was wir im Urlaub unbedingt mal machen können. Ich habe einen Onkel, der wohnt in Soweto und den würde ich gerne mal mit dir besuchen, nicht zu Hause, sondern auf dem Flughafen,  auf seiner Arbeitsstelle. Ein Besuch in Soweto ist für dich als Weißer zu gefährlich.“  





                                                                     oOoOoOoOoOo






Wahrheiten



Ich nehme all meinen Mut zusammen und sage: „Du, Nelson, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Ich fahre im Urlaub zu meinem Großvater nach Deutschland. Wir haben das gestern Abend beschlossen“ Ich traue mich nicht, ihn anzuschauen.

Stille. Langsam hebe ich den Blick und schaue neben mich. Nelson sitzt da und starrt mich mit offenem Mund an. Ich komme mir richtig schäbig vor, wie ein Verräter. „Nelson, sag doch was, schrei mich an oder hau mir eine rein, aber guck mich nicht so traurig an“, sag ich zu ihm und will nach seinem Arm greifen. Er zieht den Arm weg, steht auf und geht mit hängenden Schultern von mir fort, Richtung Gebäudeeingang. Es ist als ob etwas zerreißt in mir. Ich weiß plötzlich sehr genau, was er mir wirklich bedeutet, so wie er dort geht, so unendlich traurig. Ich will ihm nachlaufen, ihn in den Arm nehmen, aber ich bin feige und trau mich nicht.

Es klingelt, die Pause ist vorbei. Ich mache mich schweren Herzens wieder auf den Weg in den Klassenraum. Es ist, als würde eine schwere Last auf mir liegen. Als ich in die Klasse komme, ist Nelson nicht da, auch seine Tasche fehlt. Ich bin erschrocken über seine Reaktion und ärgere mich über mich, weil ich ihm in der Schule schon gesagt habe, das sich in den Ferien nach Deutschland will. Hätte ich doch nur bis zu Hause gewartet. Jetzt rennt er da draußen in der Stadt rum und wer weiß, wie er sich fühlt. 

Am liebsten würde ich ihn suchen, aber wo?  Stellenbosch ist ja kein Dorf und wer weiß, wo er in seiner Stimmung hingelaufen ist. Total fertig, überstehe ich die noch anstehenden vier Stunden und als es zum Schulschluss klingelt, schnapp ich meine Sachen und gehe so schnell wie möglich zu dem Treffpunkt, an dem Mama uns immer abholen kommt.

Nelson ist nicht da und meine Mutter schaut mich erstaunt an und fragt: „Wo ist denn Nelson?“ „Ich habe ihm heute in der großen Pause gesagt, dass ich zu Opa fahren will in den Ferien. Daraufhin ist er aufgestanden und fortgegangen. Seine Sachen hat er aus der Klasse geholt und hat den Rest des Unterrichts geschwänzt. Ich weiß nicht, wo er hin ist. Oh Mama, ich bin so blöd! Hätt ich doch nur gewartet bis heute Nachmittag.“  „Das ist jetzt nicht mehr zu ändern“, sagt sie, „steig ein, wir fahren nach Hause. Vielleicht ist er ja mit seinem Vater nach Hause gefahren. Wenn wir zurück kommen, werden wir bei Mbete  halten und du kannst nachsehen, ob er zu Hause ist.“

Ich steig ins Auto, in dem Jerome und Anna Maria bereits warten, um nach Hause zu fahren. Mama  fährt zügig los und reiht sich in den Verkehr ein, der mehr oder weniger flott durch die Straßen fließt. Zwanzig Minuten später erreichen wir unser Land und Mama fährt direkt zu Mbetes Haus. Kaum das wir an dem Haus ankommen, spring  ich aus dem Wagen und laufe zur Tür. Ich klopfe, warte,  scheinbar endlos, bis sich die Türe langsam öffnet.

Nelson steht da und schaut mich mit geröteten Augen traurig an. Mein Herz klopft, und plötzlich macht es „Klick“ in meinem Kopf. Ich mache einen schnellen Schritt nach vorn, ergreife ihn mit beiden Händen und zieh ihn zu mir heran. Ich drücke ihn an mich, schau in seine traurigen und jetzt auch überrascht guckenden Augen. „Verzeih mir“, stammele ich und dann drücke ich meinen Mund fest auf seinen. Nur wenige Augenblicke, dann lass ich ihn los und laufe davon, nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, renne so schnell ich kann in Richtung auf unser Haus zu.

Zurück bleiben ein total verstörter Nelson, meine doch etwas überraschte Mutter und zwei total auf dem Schlauch stehenden Zwillinge. Mama geht zu Nelson und nimmt ihn in den Arm. Ein paar kleine Tränen kullern ihm über die Wangen und er schaut meine Mutter ganz verstört an. „Ich glaube, das ihr beiden mal ernsthaft miteinander reden solltet, ich habe das Gefühl, das ihr euch selber gegenseitig  im Weg steht“, sagt sie, „ ich will dich in einer Stunde bei uns zu Hause sehen, und dann redet ihr solange miteinander, bis ihr eure Probleme geregelt habt. Verstanden?“ „Ja, Missis Martens“, stammelt Nelson, löst sich von ihr und verschwindet schnell im Haus.

Mama steigt kopfschüttelnd zurück ins Auto und fährt das letzte Stück bis zu unserm Haus. „So, aussteigen, ihr Beiden“, sagt sie zu den Zwillingen, „und macht euch jetzt mal nicht so viele Gedanken um Jan und Nelson. Die haben ein kleines Problem miteinander, aber ich glaube, dass sich das bald wieder einrenkt. Und nun ab, Essen und dann Hausaufgaben machen. Ich muss jetzt mal mit Mama Mbete reden und dann auch noch euren Opa in Deutschland anrufen.“

Mama Mbete ist noch in der Küche beschäftigt, als meine Mutter und die Zwillinge rein kommen. Normalerweise kommen auch Nelson und ich mit in die große Küche, in der unter der Woche auch immer gegessen wird nach der Schule. Der Tisch ist gedeckt für sieben Personen aber Papa ist auch  noch nicht zurück und Nelson und ich fehlen ja auch heute, so dass sie nur mit vier Personen am Tisch Platz nehmen. 

„Wo sind die Jungens, „fragt Mama Mbete auf Afrikaans. Sie kann zwar auch etwas deutsch und etwas niederländisch, aber sie musste als Kind  in der Schule neben ihrer Muttersprache Zulu vor allem  Afrikaans lernen und das verstehen wir halt auch am besten. Zulu kann ich zwar auch, das habe ich anfangs von Nelson gelernt, in der Schule ist das Wahlfach und wird meist nur von den farbigen Kindern besucht. Seit zwei Jahren lerne ich es auch in der Schule.

„Nelson wird erst später herkommen und Jan ist, denke ich oben und wird im Moment ebenso wenig essen wollen wie Nelson“, antwortet meine Mutter. „ Die sind zerstritten“, ruft Anna Marie dazwischen. „Du hältst mal bitte den Mund, Anne Marie. Mama Mbete, wir müssen nachher mal miteinander reden, da gibt es was zwischen den Beiden und ich will von dir wissen, wie ihr damit umzugehen gedenkt.“  „Jesses, Missis, was ist denn passiert“? will Mama Mbete wissen. „Später, Mama Mbete, wenn die Zwillinge beim Aufgabenmachen sind, “ sagt meine Mutter, „dann können wir reden.“

Als der Tisch abgeräumt ist und die Zwillinge auf Ihre Zimmer gegangen sind, setzen sich beide Frauen an den großen Küchentisch. Mama Mbete hat noch Kaffee gekocht und nun sitzt sie da und schaut meine Mutter erwartungsvoll an. Draußen fährt ein Auto vor und mein Vater steigt aus. „Der kommt gerade richtig, da kann er gerade mit hören, was es für Neuigkeiten gibt“, meint meine Mutter und Mama Mbeki springt auf, um meinem Vater das Essen zu richten. 

Vater betritt die Küche, gibt meiner Mutter einen Kuss zur Begrüßung und sagt: „Hallo, guten Tag ihr beiden, es ist ein bisschen später geworden, aber ich habe noch Klaas van Straaten getroffen, den Vater von Pieter. Wir haben über dem Reden die Zeit vergessen und so hab ich mich halt verspätet. Er ist von Mareike sehr angetan und würde es gern sehen, wenn sie seine Schwiegertochter würde. Ich habe ihm gesagt, das wir Pieter auch gut leiden können, aber das das wohl die Beiden miteinander ausmachen müssen, ob mal was ernstes daraus wird.“

Mama Mbete hat meinem Vater das Essen hingestellt und setzt sich dann wieder an den Tisch. „Ich glaube, dass wir noch mehr Verliebte haben hier auf dem Gut“, sagt meine Mutter, „allerdings in einer etwas anderen Konstellation, als es allgemein erwartet wird.“ Vater schaut sie fragend an und Mama Mbete versteht offensichtlich ebenfalls nicht, was meine Mama mit ihrer Andeutung sagen will. „Geht’s auch ein bisschen genauer, Susanne“? fragt mein Vater, „im Hellsehen war ich noch nie gut. Rede mal Klartext, was ist los?“ 

„Also gut, dann Klartext“, fängt meine Mutter an, „ Jan ist in Nelson verliebt und wenn ich alle Anzeichen richtig deute, wird das von Nelson erwidert, auch wenn sie es beide noch nicht richtig realisiert haben. Sie hatten heute eine Differenz darüber, dass Jan in den Ferien zu meinem Vater fahren will. Er und Nelson hatten schon umfangreiche Ferienpläne gemacht und Weihnachten fällt ja auch in diese Zeit. Nelson war ganz perplex und ist aus der Schule weggelaufen und ist allein nach Hause gegangen. Jan war dann ganz aufgeregt und ich musste direkt zu Mbete´s Haus fahren, damit er gucken konnte, ob Nelson zu Hause war. Dann hat er ihn in den Arm genommen, hat ihn geküsst und ist dann fortgelaufen.“

„Jessus, Jessus“, stammelt Mama Mbete, „was sollen wir denn jetzt machen. Das ist doch.., das  ist doch …“  „Nicht normal, willst du sagen?“ sagt meine Mutter, „vergiss den Quatsch, Mama Mbete, „ wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und in Südafrika ist das auch vor dem Gesetz legal und unumstritten, wenn sich zwei Männer lieben.“ „Aber schwarz und weiß und weil wir auch für Euch arbeiten, das geht doch nicht“, sagt sie und fängt an zu weinen, „Jessus, Jessus, was wird mein Mann sagen.“

Mein Vater hat jetzt offensichtlich die Neuigkeit verarbeitet und meint: „Das werden wir noch sehen, Mama Mbete, wenn sich die beiden wirklich gern haben, dann wollen wir auch nicht dagegen sein. Wenn wir damit klarkommen, dann solltet ihr das auch können. Das erwarte ich dann schon von meiner zukünftigen Verwandtschaft.“ 

Leicht schmunzelnd isst er weiter und meine Mutter meint: „Ich habe Nelson hierher bestellt, damit sich die Beiden mal aussprechen. Sollte meine Vermutung sich bestätigen, werden wir nicht umhin können, auch für Nelson ein Flugticket und auch Winterkleidung zu kaufen. Aber das bleibt erstmals unser Geheimnis und vorher muss ich dann auch noch ausgiebig mit meinem Vater telefonieren.“

Als Mama Mbeki sieht, wie unverkrampft und locker meine Eltern mit der Geschichte umgehen, beruhigt sie sich ein wenig, aber als ihr beim Spülen zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder  ein Teller runterfällt, weiß meine Mutter, das Mama Mbete das noch lange nicht verdaut hat, das ihr Sohn und der Sohn ihrer Arbeitgeber sich ineinander verliebt haben sollen.

Die Stunde ist fast vorbei, als meine Mutter an meine Türe klopft und ohne auf meine Antwort zu warten, ins Zimmer kommt. „ Jan, ich habe Nelson hierher bestellt, damit ihr euch aussprecht und zwar gründlich. Egal, was dabei raus kommt, deine Eltern werden es akzeptieren und Mbete’s letztendlich auch. Ich weiß, dass das nicht einfach ist für Euch, aber ich will, dass ihr Klarheit schafft. Ihr seid uns beide zu lieb und zu wichtig, als das wir das nicht geklärt wissen wollen. So, ich lass dich jetzt allein, Nelson wird gleich da sein. Macht es euch nicht zu schwer.“ Sie wendet sich zum Gehen, und ich rufe ihr noch leise ein „Danke Mama“ hinterher, als sie die Türe schließt.

Nelson kommt gleich und ich liege hier verheult auf meinem Bett. Ich steh auf und geh ins Bad, um wenigstens mein Gesicht zu waschen. Als ich wieder im Zimmer bin, setz ich mich vor dem Bett auf den Boden, genau der Eingangstür gegenüber. Meine Hände zittern leicht und ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Als ich Schritte höre, steigt mein Herzschlag rasch an und mir wird warm. Es klopft und ich sage fast zu leise: „Herein“.

Langsam öffnet sich die Türe und ein um einige Nuancen dunklerer als normal aussehender Nelson kommt langsam herein, so, als hätte er zentnerschwere Gewichte an den Füssen. „Hi“ ,fast geflüstert ist sein knapper Gruß, den ich ebenso leise und zaghaft erwidere:“Hi, Nelson, setz dich“ Ich hoffe, das er sich an den Schreibtisch setzt, dann wäre eine gewisse Distanz zwischen uns aber er setzt sich direkt vor mir auf den Boden, so dass ich ihm in die Augen schauen und ihn riechen kann. Er riecht gut, er riecht eigentlich immer gut und nun schaut er mich aus seinen schwarzen Augen an, mit einem Blick, der mich innerhalb von Sekunden innerlich schmelzen lässt.

Ich bin gerade sehr feige, denn ich überlasse es  ihm, das Gespräch zu eröffnen. „Warum willst Du in den Ferien auf einmal zu deinem Opa fahren, nach Deutschland, und mich hier die ganze Zeit allein lassen, Jan?“, fragt er und seine Blicke dringen tief in meine Augen ein. Nach einer kurzen Pause antworte ich, den Blick auf den Boden senkend: „Ich wollte fliehen, weglaufen, allein sein um zu überlegen. Ich habe Angst!“

„Vor mir, hast du vor mir Angst und wenn ja, was habe ich, das du vor mir Angst haben muss“, fragt er leise, aber eindringlich. „Nicht vor dir, nein! Vor mir, vor mir und meinen Gefühlen. Ich bin so durcheinander und wusste nicht, was ich tun sollte und wie es weitergehen soll. Deshalb wollte ich flüchten, “ sage ich. „Ich muss dir etwas gestehen, Nelson“, fuhr ich fort, gewillt, es jetzt endlich hinter mich zu bringen, „ich bin wohl schwul, Nelson, und ich habe mich verliebt, Nelson, in dich verliebt  und ich weiß nicht, ob du mich auch lieben kannst und da bin ich einfach nicht mit fertig geworden und habe mich auch nicht getraut, etwas zu dir zu sagen, Nelson!“ Jetzt war es raus und gleichzeitig kamen dann auch die Tränen, Tränen der Erleichterung, aber auch der Angst. Ich legte reflexartig beide Hände über meine Augen, lehnte mich zurück ans Bett und heulte vor mich hin.

Dann legen sich plötzlich zwei Arme um mich und sein Geruch dringt ganz intensiv in meine Nase. Meine Hände werden sanft weggezogen und zwei warme, ja eher heiße, Lippen legen sich auf meine. Nelsons Zunge beginnt über meine Lippen zu streicheln und dann küsst er meinen Tränen weg, eine nach der anderen, nicht ohne dazwischen immer „dummer Junge“ zu murmeln und  „ lieb dich schon ewig“ und „ brauch dich doch“ und „du dummer, lieber Bub“ lauter solche schönen Sachen. Die Zeit steht still, ich bade in seinem Geruch, ich suche seine Lippen, seine Küsse, seine Zunge. Ich bin halb ohnmächtig vor Glück, selig, endlich wissend was mit mir, was mit uns ist. Oh Mann, welch ein Tag. Ich schlinge meine Arme um ihn, halt ihn ganz fest, erwidere seine Küsse, alles am Rande des absoluten Wahnsinns. Oh man bin ich so bin glücklich!



Am Strand bei Strand



Würziger Geruch von Gebratenem überzieht den Strand und erreicht unsere Nasen. Ein leichtes Hungergefühl beschleicht mich trotz meiner depressiven Stimmung und die gedankliche Erzählung aus der Vergangenheit hat nicht zur Besserung meiner Laune beigetragen. Ein paar von den Halbwüchsigen gehen herum und verteilen Getränke, Wein für die Erwachsenen und Saft  für die Kids. Ich nehme mir einen Schoppen Roten, Shiraz 2005, ein fruchtiger, trockener und gehaltvoller  Wein aus eigener Herstellung. Ich werde noch etwas warten mit dem Essen, euch erst mal noch ein bisschen teilhaben lassen an meiner Vergangenheit.

                                                        Erstmals Wolke 7

Nach etwa zehn Minuten Dauerküssen löst sich Nelson vorsichtig aus meinen Armen. Er zieht mich hoch und lässt sich mit mir auf mein relativ großes Bett fallen. Wir liegen neben einander und schauen uns in die Augen. „Wenn ich mir überlege, warum wir uns nicht schon eher getraut haben, dann muss ich sagen, das mir das alles erst seit  einigen Monaten richtig bewusst geworden ist, das ich dich liebe“, sagt er und spielt mit meinen Haaren, „zuerst bin ich erschrocken, dann hatte ich Angst, genau wie du, das du meine Gefühle nicht erwidern würdest. Ich war total verunsichert und habe mich nicht getraut, etwas zu dir zu sagen. Nachts hatte ich sogar  feuchte Träume von dir.“

„So ging es mir auch, Nelson“,  antworte ich, „auch wohl schon etwas länger. Ich habe schon mit vierzehn gemerkt, dass ich dich schön finde und das mich Mädchen überhaupt nicht so interessieren und ich muss gestehen, dass ich auch an dich gedacht habe, wenn ich an meinem Ding gespielt habe.“„Du hast echt an mich gedacht, wenn du dir einen runtergeholt hast? Nun, dann bin ich ja nicht allein damit gewesen“, sagt er grinsend und küsst mich, „ich frag mich, wie das wird, wenn wir es gemeinsam machen?“ 

Sein Teint ist  wieder sehr dunkel geworden bei der Antwort und ich kann nicht umhin, mich auf ihn zu wälzen und kurz zu kitzeln. „Das werden wir noch heraus finden, wie das wird, dazu haben wir noch viel Zeit vor uns,“ sage ich, „aber wir müssen wohl mal nach unten gehen und der wartenden Menge das Ergebnis unserer Unterredung berichten. Ich bin gespannt, wie das ankommt. Ich hoffe ja nicht, dass wir jetzt voll den Stress kriegen, aber ich glaube eher nicht. Allerdings weiß ich nicht, wie deine Eltern reagieren, Nelson, aber wenn meine Eltern nichts dagegen haben, werden sie es wahrscheinlich auch akzeptieren.“

Nach einem kurzen Umweg durch das Badezimmer zwecks Aufbesserung des verheulten Gesichtsausdrucks machten wir uns auf den Weg nach unten. In der Küche sitzen immer noch Mama Mbete, meine Mutter und auch mein Vater hat seine Arbeit ein wenig länger ruhen lassen als vorgesehen. Wollte er doch den wichtigen Auftritt von uns beiden auf keinen Fall versäumen.

Als wir eintreten, beginnt meine Mutter zu lächeln, sie sieht uns an, welches Ergebnis die Unterredung mit Nelson hatte. Mama Mbetes Gesicht tendiert eher zum Weinen, allerdings gelingt es ihr, ein Schluchzen und den Tränenfluss zurück zu halten. Sie sieht aber alles andere als glücklich aus, im Gegenteil zu Ihrem Sohn, der strahlt wie eine Schokotorte übers ganze Gesicht und ich muss wohl ähnlich aussehen.

„Nun“, fragt mein Vater, „ was haben die Herrn uns mitzuteilen. Ist eine Einigung in allen strittigen Angelegenheiten erzielt worden, ist jetzt Frieden und kann man gratulieren?“ „Chris“, ruft meine Mutter, „fall doch nicht immer mit der Tür ins Haus“. Auch von mir kommt ein vorwurfsvolles: „Mensch, PAPA!“ „Wir haben uns ausgesprochen“, sagt Nelson leise und zögerlich. „Und wir sind jetzt zusammen, wir lieben uns“, kommt es etwas energischer von mir. „Dann ist ja alles in Butter“, sagt mein Vater fies grinsend, „dann könnt ihr ja jetzt eure Hausaufgaben machen, oder?“ He, bin ich denn jetzt im falschen Film, kein Kommentar, keine Vorhaltungen, Übergang zur Tagesordnung?

„Chris, ich meine, wir sollten darauf schon ein Gläschen Sekt trinken, das ist doch schon fast so, als hätten wir einen Schwiegersohn bekommen“, meldet sich meine Mutter, „ und untersteh dich und bring nicht eine Flasche vom Besten aus deinem Keller.“ 

Papa steht auf, klopft im Vorbeigehen Mama Mbete auf die Schulter und sagt:“Freu dich Mama, freu dich mit deinem Sohn, die beiden sind doch ein schönes Paar und ich hoffe, dass sie für immer zusammen bleiben.“ Ein leises Lächeln schleicht sich auf Mama Mbete’s Gesicht und dann nimmt sie Nelsons Hand und zieht ihn zu sich. „Oh mein Junge, du hast mich sehr überrascht und ich muss mich erst mal daran gewöhnen, das  du jetzt einen Freund hast, so wie andere eine Freundin. Was wird Papa nur sagen?“

Jetzt ist es an Nelson, uns alle zu überraschen:“Papa weiß es schon, Mama. Ich habe es ihm gesagt, als ich zu Hause war, nachdem Frau Martens bei uns gewesen ist. Er wollte wissen, was los ist und ich konnte ihn nicht anlügen. Er hat gesagt, wenn die Martens es akzeptieren dass Jan und ich uns lieben, dann akzeptiert er es auch. Wenn sie es nicht akzeptieren, hätte er mich nach Soweto zu Onkel Albert geschickt und ich musste versprechen, nie mehr zurück zu kommen. Aber das muss ich jetzt ja nicht.“ 

Ich ziehe ihn von seiner Mutter weg zurück in meinen Arm und drücke ihn an mich. „Du bleibst schön hier bei mir und gehst nicht nach Soweto, hier ist dein Zuhause und so soll es auch bleiben, wenn es nach mir geht, für immer“, sage ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Zu mehr trau ich mich im Moment nicht, weil seine Mutter dabei ist und sie sich ja erste Mal daran gewöhnen muss, dass ihr Sohn jetzt von einem Jungen geküsst wird.

Papa kommt mit dem Sekt und Mama Mbete springt auf, um Gläser zu holen. Papa öffnet gekonnt die Flasche und ich stelle fest, dass das eine von den allerbesten aus unserem Keller ist. Das freut mich, zeigt es mir doch auch, dass er das Ereignis des heutigen Tages besonders zu würdigen weiß. Zur Feier des wohl außergewöhnlichen Ereignisses fehlt eigentlich nur noch Nelsons Vater. 

„Papa, warte noch mit dem Einschenken“, sage ich und zu Nelson: „los, komm mit!“ Ich ziehe ihn an der Hand hinter mir her und laufe zum Landrover und schwing mich hinein. Der Schlüssel steckt wie immer und als Nelson sich auf den Beifahrersitz geschwungen hat, fahre ich los, Richtung Mbete’s Haus. Die dreihundert Meter sind gleich geschafft und als ich halte, springt Nelson bereits aus dem Auto und verschwindet im Haus. Kurz drauf kommt er, seinen Vater am Arm hinter sich herziehend wieder heraus. Ich habe zwischenzeitlich gewendet und mit Papa Mbete an Bord fahren wir zurück.

Wir schieben Papa Mbete durch die Tür bis in die Küche und mein Vater sagt: „Komm setz dich, Jonathan, wir haben was zu feiern.“ Papa Mbete nimmt zuerst mal seine Frau in den Arm, streichelt ihr über die Haare und fragt: „Warst du sehr erschrocken, Mama als du es erfahren hast?“ „Ja, Papa, es hat mich schon sehr getroffen im  ersten Moment aber jetzt gewöhn ich mich langsam an den Gedanken.“ Beide haben Zulu miteinander gesprochen und ich habe nur die Hälfte verstanden, weil sie immer so schnell sprechen. Aber der Händedruck von Nelson und sein Gesichtsausdruck sagen mir, dass jetzt alles in Ordnung ist.

Papa füllt die Gläser und reicht jedem in er Runde eins, auch mir und Nelson, dabei zwinkert er uns mit dem Auge: „Das ihr mir danach nicht betrunken seid und allen möglichen Blödsinn macht. Und wenn es dann mal zum Nahkampf kommen sollte, dann denkt daran, dass ihr euch verantwortungsvoll verhaltet. Hier in Südafrika ist die zweithöchste Quote an HIV-Erkrankungen, nur in Indien ist die Zahl noch höher. Wir möchten Euch noch recht lange gesund bei uns haben.“

Wir werden beide rot, bzw. Nelson eher dunkler im Gesicht und von Mama Mbete kommt ein leises „Jessus, Jessus“, anscheinend hat sie über sexuelle Aktivitäten zwischen uns beiden noch gar nicht nachgedacht. 

„So, dann wollen wir mal auf das junge Glück anstoßen und den Beiden alles Gute wünschen. Prost!“ Typisch mein Vater, immer ein bisschen spaßig, flapsig, aber mit ernstem Hintergrund. Ich glaube, bessere Eltern kann man nicht haben und wenn sie mich mal brauchen, dann werde ich immer für sie da sein, schwör ich mir innerlich.

Wir trinken einen Schluck von dem edlen Tropfen, Methode Traditionell, das heißt, er ist genau wie Champagner in der Flasche vergoren und gereift. Der Jahrgang, den wir jetzt gerade trinken, war einer der Besten, wenn nicht sogar der Beste überhaupt und die Flaschen, die Vater jetzt noch davon hat, die liegen extra in einem Raritätenkeller (so nennt ihn mein Vater) von dem haben nur er und Mutter einen Schlüssel. Was dort lagert, wird nicht mehr verkauft und nur bei besonderen Anlässen getrunken. Ab und an verschenkt Vater auch an besonders gute Kunden ein oder zwei der Raritäten.

„So“, sagt Mutter, „ wie geht denn das jetzt weiter mit euch Beiden, in drei Wochen fangen die Schulferien an, es ist noch sechs Wochen bis Weihnachten und du, Jan, hast dich bei Opa und Oma angemeldet.“ Ich werde rot und mein schlechtes Gewissen meldet sich wieder. „Ich weiß im Moment auch nicht mehr was ich machen soll“, sage ich zerknirscht, „wenn ich jetzt Opa und Oma wieder absage, sind sie sicher traurig und sauer auf mich, wenn ich aber hinfahre, ist mein Schatz sechs Wochen und auch an Weihnachten ganz allein. Das will ich natürlich auch nicht. Was sollen wir denn jetzt machen? Gestern wusste ich ja noch nicht, das die Dinge sich so entwickeln.“

Mama meint: „Überlasst das jetzt mal ruhig mir, ich werde mit Opa reden und wir werden wohl eine Lösung finden, die alle irgendwie zufrieden stellt. Ihr geht jetzt mal die Hausaufgaben machen, dazu müsst ihr wohl erst noch Nelsons Sachen holen. Da könnt ihr Jonathan auch gleich wieder mit zurück nehmen, wenn ihr mit dem Rover rüberfahrt.“ Da die Flasche leer ist, steht auch Papa auf und meint: „Ich geh dann auch noch ein bisschen was tun, wir wollen noch zwei Fässer Cabernet Sauvignon auf Flaschen füllen. Wir haben eine größere Lieferung in die Schweiz vorzubereiten und da muss noch einiges getan werden.“

Jonathan meint: „Die Mittagspause ist eh vorbei, die andern Kinder machen Ihre Hausaufgaben und da kann ich ja gleich mit zum Abfüllen gehen. Mama geht ja nachher auch nach Hause und schaut dann nach den Kindern.“ Zu uns beiden gewandt sagte er: „ Ihr könnt drüben Bescheid sagen, das ich gleich hiergeblieben bin, wenn ihr Nelsons Schulsachen holt.“ Wir beide gehen zum Landrover. Einsteigen und dann …erst mal umarmen, küssen, küssen, küssen …, so, jetzt können wir losfahren. Nach 100 Metern stößt Nelson einen Jubelschrei aus, knufft mich in die Seite, der dreht am Rad vor Freude und Erleichterung. Ich komme vor Mbete‘s  Haus zu Stehen.

Wieder Küssen, umarmen, jetzt aber still, genießend, durchdrungen vom Gefühl, den Liebsten endlich im Arm halten zu können, in Küssen zu dürfen. Es ist schier zum Wahnsinnigwerden. „Ich liebe dich Nelson“, höre ich mich sagen, so, als würde ich neben mir sitzen. „Ich liebe dich auch, wahnsinnig,  Jahn. Lass mich bitte nicht allein, nicht jetzt und auch nicht später. Ich könnte es nicht ertragen ohne dich, das Leben“. Er streichelt meinen Nacken. Ich bin richtig glücklich.

Nelson verlässt den Rover, um seine Schulsachen zu holen und seinen Geschwistern Bescheid zu geben, dass Jonathan wieder bei der Arbeit ist und dass Mama bald heimkommt. Sieben Minuten später sitzt er wieder neben mir. Ich habe in der Zeit gewendet und warte schon auf ihn. Oh Mann, der hat sich ja noch umgezogen, der Loser. Ein hautenges Muscleshirt, weiß, man sieht die Brustwarzen durch schimmern und eine knappe Sporthose, die den Ansatz geilen Hinterns rausgucken lässt. „He“, ruf ich, „ du bist gemein. Das halt ich ja nicht aus, willst du, das ich mit einem Dauerständer Hausaufgaben machen muss. Das kann doch nicht angehen.“ „Ich wollte mich nur hübsch machen für meinen Schatz“, entgegnet er, „das du dabei so unruhig wirst in deiner Hose, deutet auf Defizite im Sexualleben hin.“ Dabei lacht er übers ganze Gesicht und freut sich diebisch, dass meine Hose unübersehbar  sehr unter Spannung steht.

„Na warte, wenn wir mit den Aufgaben fertig sind, wirst du für die Frechheiten bezahlen“, sag ich und pieke ihn in die Seite, bevor ich los fahre. „Jawohl, Massa, Nelson bezahlen muss, Massa. Muss böse bestrafen unbotmäßigen Kaffer, Massa, muss züchtigen mit große Rute, Massa“, macht Nelson nun offensichtlich auf Sklave und bei jedem „Massa“ beugt er ruckartig den Kopf nach unten. Wir müssen beide fürchterlich lachen und fast wäre ich am Haus vorbei und gegen den Schuppen gefahren, ihn dem unsere Autos und Maschinen stehen. Immer noch lachend, steigen wir aus und gehen ins Haus und dort direkt auf mein Zimmer.

Als die Tür hinter uns ins Schloss fällt, lehne ich mit dem Rücken dagegen und Nelson kommt in meine ausgebreiteten Arme, ich ziehe ihn an mich und er kuschelt sich förmlich in mich rein. „Da bin ich, Massa“, flüstert er in mein Ohr, um gleich darauf an demselben zu knabbern. Ich bekomme eine Gänsehaut, so gut fühlt sich das an und ich kriege einen kleinen Vorgeschmack auf das, was man fühlt, wenn man mit Haut und Haaren liebt.

Er löst sich, dreht sich rum und sagt:“Genug, jetzt erst mal die Arbeit, dann das Vergnügen, was haben wir denn auf an Hausaufgaben?“ „Oh Man“, sage ich, „du kannst doch jetzt nicht sofort so auf die Arbeit stürzen. Ich will noch ein bisschen Schmusen. Schließlich bin ich wahnsinnig verliebt in einen total süßen Schokoboy mit Namen Nelson.“ „Soo, das ist ja interessant“, sagt er und kommt wieder auf mich zu, „das wollen wir doch mal testen.“ Schon spüre ich wieder seine Lippen auf meinen und seine Zunge streicht über meine Lippen, die sich gerne für ihn öffnen und dann spielen die beiden Zungen miteinander, einfach irre ist das. In der, oder den Hosen ist Rebellion, Aufstand und wir pressen uns aneinander, um uns gegenseitig zu spüren.

Wieder löst sich Nelson und geht zum Schreibtisch. „Wir müssen jetzt mal tief durchatmen und vernünftig sein, Massa“, fängt er wieder mit der Sklavenmasche an,  „erst die Arbeit, Massa, du weißt schon“. Er setzt sich an den Schreibtisch und packt seine Schulsachen aus. Ich trete hinter ihn, vergrabe meine Nase in seinen krausen Löckchen und sauge seinen Geruch in mich hinein. „Ich liebe dich, Nelson Mbete, wie ich vorher wohl noch nie jemanden geliebt habe“, sage ich leise und reibe zart an seinen Ohren. „ Ich liebe dich auch, Jan Martens und ich bin glücklich, dass ich das auch endlich zeigen darf. Ich hatte so eine Scheißangst, das du mich nicht mehr magst, wenn du weißt, das ich schwul bin und mich ausgerechnet in dich verliebt habe.“ Mit einem Kuss verschließe ich seine Lippen und unsere Zungen spielen zärtlich miteinander.



Am Strand bei Strand



„Essen, es gibt Essen“, laut tönt die Stimme von Mama Mbete über den Strand und alle kommen mehr oder weniger schnell herbei, um an den Tischen Platz zu nehmen. Die größeren Kinder und die Jugendlichen helfen beim Auftragen der Platten mit den gegrillten Köstlichkeiten. Lamm, Huhn und Steaks gibt es in verschiedenen Variationen und auch Fisch hat den Weg auf den Grill gefunden. Dazu gibt es Gemüse-Gravy und den für die Farbigen typischen Maisbrei.

Bevor nun das Essen beginnt, fassen wir uns alle rings um die in einer Reihe aneinander gestellten Tische an den Händen. Der Vater meines Vaters, also mein Opa Albert, der mit Oma Helene hier im Ort Strand eine Eigentumswohnung bewohnt, eröffnet das Mahl dadurch, dass er allen hier ein „geseendes Kersfees“, so heißt es auf Afrikaans, und auf Zulu ein „Kissiemus“ wünscht. Wein wird eingeschenkt, die Kinder trinken Cola oder andere alkoholfrei Sachen und das große Mahl beginnt.

Die meisten Tischgenossen sind fröhlich und ausgelassen und freuen sich, dass es so viele gute Sachen zum Essen und trinken gibt. Mir, aber auch meinen Eltern und manches Mal auch Mama Mbete, sieht man aber den Kummer und auch die Sorgen der letzten Monate und oder auch Jahre an. Vieles ist geschehen, das schlimme Erinnerungen hervor ruft und die Freude des heutigen Tages trübt und die Aussichten in die Zukunft sind, jedenfalls für mich, eher trübe als rosig. Die Gründe werdet ihr im Verlauf meiner weiteren gedanklichen Erzählung erfahren und wohl auch verstehen.

                                                                 Weiter im „Damals“

Nachdem wir noch ein bisschen geschmust haben, fangen wir doch mit den Hausaufgaben an und als erstes steht Mathematik auf dem Programm. Sieben Aufgaben, nicht allzu schwierig für uns lösen wir gemeinsam, jedes einzelne Ergebnis mit einem langen Kuss  unterstreichend, in relativ kurzer Zeit. Nun müssen wir noch ein Referat für Geschichte machen uns zwar über die Entstehung und Entwicklung des ANC bis hin zum Ende des Apartheitsstaat vor 1994. Damit haben wir dann doch fast eineinhalb Stunden zu tun, bis das Ergebnis unseren beiden Vorstellungen entspricht. In diese Arbeit wird nun auch der Computer mit einbezogen, gilt es doch viele Informationen zu berücksichtigen und in das Referat mit einzubauen. Endlich sind wir fertig, die Schulsachen werden weg gepackt und dann noch ein bisschen ungestört geschmust.

„Gehen wir eine Runde schwimmen, Jan, ich mein so zum Abkühlen, Jan?“ fragt Nelson, nachdem ich für einen Moment seinen Mund freigegeben habe. „Oh man, dich jetzt noch weniger angezogen zu sehen, das werde ich wohl kaum aushalten, ich habe jetzt schon seit geraumer Zeit einen stehen und bei dir sieht das auch nicht so aus, als würde dich das kalt lassen“, sage ich und streichel dabei über die dicke Beule in seiner Shorts. „Wir könnten ja vorher noch hier oben Duschen gehen und die schlimmste Not ein wenig lindern, was hältst du davon“, fragt er verschmitzt grinsend und nun ebenfalls seine Hand über meine Latte wandern zu lassen.

Ich bin ganz aufgeregt und schiebe ihn in Richtung Bad: „Einverstanden, sogar sehr einverstanden“, erwidere ich, während ich in durch die Badtüre schiebe. Mit dem Fuß schließe ich die Türe und lehne mich, Nelson zu mir ziehend, von innen gegen die Tür. Das Verriegeln der Tür und das Ausziehen seines Shirts gehen fließend ineinander über und auch mein Shirt ist schnell auf dem Boden gelandet. 

Die Hände gehen auf Wanderschaft, erkunden heiße Haut, stark durchblutete Brustwarzen, zarte Haare auf flachem Bauch. Elektrisierende Gefühle bauen sich zwischen uns auf. Nahezu gleichzeitig schieben wir die restlichen Textilien in Richtung Boden, erkunden die Hände das Ziel unserer Neugier, berühren wir zum ersten Mal den steifen Schwanz des anderen, streichen über den Po, während die Lippen sich küssen, die Zungen miteinander spielen. Wahnsinn, der helle Wahnsinn, ein Feuerwerk der Gefühle und Empfindungen, das sich urplötzlich und ohne gezielte Handlung in glückseligen Spasmen entlädt. Unsere Bäuche werden nass, nass vom beiderseitigen Erguss und schauernd vor Lust klammern wir uns aneinander, uns erst wieder lösend, nachdem sich unser Atem beruhigt und die Anspannung gelockert hat.

„Wow, oh Jan“, meint Nelson und „oh mein Gott, das war irre“, stöhne ich leise in sein Ohr und spüre die klebrige Flut zwischen uns. „Ich liebe dich“, flüstert Nelson in mein Ohr.

Das Wasser läuft warm über uns herunter, wäscht ab, was unsere Haut klebrig und geil riechend überzog. Wir seifen uns ein, zuerst jeder sich und dann einer den anderen. Der Erfolg ist nicht zu übersehen. Steil aufragend stehen sie, die, die wir all die Zeit vorher immer schamhaft voreinander zu verbergen suchten. In voller Pracht, schön und männlich. Nelson ist beschnitten und etwas größer gebaut als ich, aber ich brauch mich auch nicht zu verstecken. 

Das Einseifen und Waschen hat sich nun ausschließlich auf die Körpermitte des anderen konzentriert und zum Rauschen des Wassers gesellt sich jetzt, erst zaghaft, dann immer heftiger, unser Beider Stöhnen. Angespornt durch die Geräusche des anderen, werden die Bewegungen immer schneller, bis sich fast gleichzeitig, der Samen mit dem Schaum vermischt. Erschöpft lehne ich an der Wand, Nelson hat sich an mich gelehnt, wir haben die Augen geschlossen, fühlen einander, genießen den Augenblick, der uns bewusst werden lässt, was der Andere uns bedeutet. Unsere Lippen treffen sich erneut zu einem lieben, langen, einfach herrlichem Kuss.

                                                           Strand bei Strand

Das Essen geht in die zweite Runde und die Stimmung wird ausgelassener. Mir fällt es immer schwerer, einfach hier sitzen zu bleiben. Ich stehe auf, sage meiner Mutter: „Ich geh mal ein bisschen am Strand entlang, Mama, ich muss ein bisschen allein sein.“  Sie lächelt, fast verschmitzt, und sagt: „Geh nur ein bisschen, bleib aber nicht zu lange weg, du weißt ja, das es noch Geschenke gibt nachher und für dich ist bestimmt auch eine Überraschung dabei“.   „Was soll mich schon groß überraschen, Mama, aber ich komme früh genug wieder zurück“, antworte ich und geh den Strand in südlicher Richtung entlang.

Ich gehe an der Wasserlinie entlang, so dass der ein oder andere kühle, ja fast kalte Ausläufer einer Welle meine Füße umspült. So fünfzehn bis sechszehn Grad dürfte das Wasser haben, das selten im Jahr mal neunzehn oder sogar 20 Grad Celsius erreicht. Das für fast alle Meeresstrände übliche Muschelgemisch ist auch für diesen Strand typisch und meine Augen wandern über die angespülten Teile hinweg, in der Hoffnung, ein größeres Schneckenhaus zu finden. Mit Nelson habe ich jedes Jahr hier um die Wette gesucht und wer das größte Schneckenhaus gefunden hat, der hatte gewonnen. Was würde ich jetzt geben, wenn er heute hier bei mir sein könnte.

                                                     

06  Ferien in Deutschland

Fertig geduscht und wieder bekleidet, machen wir uns auf den Weg nach unten. Ich, das heißt, eigentlich wir, müssen mit meiner Mutter wegen der Ferien unbedingt reden. Nach der Entwicklung heute werde ich Nelson nicht alleine lassen, dann würde ich eben nicht zu Opa in den Rheingau fahren. Wir treffen Mama in der Küche, sie sitzt am Tisch, das Telefon liegt bei ihr und sie hat sich einen Kaffee gemacht. „Ihr kommt gerade richtig, ihr zwei, setzt euch mal hier hin, ich muss mit euch reden“, fordert sie uns auf, Platz zu nehmen. Wir setzen uns ihr gegenüber nebeneinander hin und schauen sie erwartungsvoll an.

„Also, ihr beiden, da ihr ja jetzt wohl eindeutig zusammen seid, muss ich euch einige Verhaltensmaßregeln aufzeigen“, fährt sie fort, „ich möchte, das ihr außerhalb des Weingutes, vor allem in der Schule, zunächst einmal nicht öffentlich rumknutscht und so weiter. Ihr wisst schon, was ich meine. Man weiß nie so recht, wie andere Leute darauf reagieren und ich möchte nicht, das ihr Ärger bekommt. Hier auf dem Gut wird es keine Probleme geben, denk ich, aber ich möchte euch bitten, euch auch hier, schon allein wegen der jüngeren Geschwister, etwas zurück zu halten.“

Nach einer kurzen Trinkpause fährt sie fort: „Ich habe ausführlich mit Opa telefoniert, habe ihm auch erzählt, wie sich das alles hier innerhalb von 24 Stunden verändert hat.“ „Mama, hast du etwa auch gesagt,..“ „Ja, was denkst du denn, das musste ich wohl und das konnte ich auch unbedenklich tun, da meine Eltern keinerlei Vorurteile in Bezug auf das Schwul sein haben. Außerdem musste er das wohl erfahren, bevor er damit konfrontiert wird, wenn ihr bei ihm Urlaub macht.“

Erst nach einer kurzen Pause realisiere ich was sie gerade gesagt hat. „Nelson darf mit??. Echt??. Oh das ist aber geil, ich werde verrückt“, und ihn hoch und in meine Arme ziehend fange ich an, zu tanzen, „Nelson darf nach Deutschland! Nelson darf nach Deutschland!“ und Freudentränen erscheinen in meinen Augen, bahnen sich einen Weg über meine Wangen, um auf meinem T-Shirt zu landen. Ich drücke ihn fest an mich und wirbele uns beide im Kreis herum, vor Freude total aus dem Häuschen.

Auch Nelson freut sich wie ein Schneekönig, tanzt mit mir im Kreis, bis er sich dann aus meinen Armen löst und sich wieder auf den Stuhl fallen lässt. Sein Gesicht ist plötzlich wieder ganz ernst, und er schaut meine Mutter an und  fragt: „ Missis Marten, haben sie darüber schon mit meiner Mama gesprochen. Vielleicht ist die ja gar nicht einverstanden, dass ich in den Ferien nach Deutschland fahre?“ Nun habe auch ich mich wieder hingesetzt, gespannt auf die Antwort wartend. 

„Nun, natürlich habe ich Mama Mbete gefragt, ob du, wenn mein Vater damit einverstanden ist, mit Jan nach Deutschland fahren darfst und sie hat ohne lange zu zögern zugestimmt. Eurer Reise steht also nichts mehr im Wege. Allerdings müssen wir für Euch beide noch ein paar warme Wintersachen besorgen, aber ich denke, wir werden schon was Passendes finden und die Kosten werden wir übernehmen. Wir können ja nicht zulassen, dass unser zukünftiger Schwiegersohn im kalten Deutschland erfriert.“

Nun ist doch wieder tanzen angesagt und auch bei Nelson sind ein paar Freudentränen sichtbar. „Ich weiß nur aus dem Atlas, wo Deutschland liegt und weiß echt nicht viel über dieses Land“, sagt er, als wir wieder einigermaßen ruhig am Tisch sitzen. „ Dann geht mal an Jans Computer und seht mal nach, bei Deutschland allgemein und dann bei Rheingau, da erfahrt ihr dann schon einiges über die Gegend, in der Opa wohnt und die ihr bald besuchen werdet“. Wir lassen uns nicht zweimal bitten:

Oben angekommen, fahre ich den Rechner hoch, Nelson hat schon einen zweiten Stuhl herbeigezogen, als der Browser auf geht. Den Google kennt ihr ja bestimmt, jetzt nur noch Rheingau eingeben und „Enter“ und schon geht die Post ab. Mehr als 10 Seiten mit je 15 Einträgen werden angezeigt: „Der Rheingau“, „Rheingauer Wein“, „Rheingau bei Wikipedia“ uns so weiter. 

Wir fangen an in den Seiten zu stöbern, Bilder zu schauen, die einzelnen Orte aufzurufen, und bleiben eine Zeitlang bei „Martinsthal“, das ist der Ort, wo Opa wohnt und sein Weingut hat. Der steht sogar im Internet und ein paar Bilder sind auch dabei. Als Mutter uns zum Abendbrot ruft,  wissen wir vieles über den Ort und die Region und freuen uns, dass wir zusammen dorthin fahren dürfen.

Beim Essen reden wir über unseren Ferientrip nach Deutschland, Vater erzählt von seiner Studienzeit und wie er Mutter kennen gelernt hat. Nach dem Essen meint Mama: „ Nun geht mal zu Mama Mbete und fragt, ob Nelson heute hier bei dir schlafen darf.  Ich weiß zwar, das sie da wohl nichts dagegen hat, aber wenn ihr vorher fragt, macht das immer einen guten Eindruck und Nelson muss ja dann auch noch Kleider für Morgen haben.“ „OK, Mama, das machen wir“, antworte ich und will mit Nelson gleich los. 

„Langsam, junger Mann, ich will euch nur noch darauf hinweisen, dass wir morgen nach der Schule in Stellenbosch noch nach ein paar Wintersachen für euch gucken müssen. Ich hoffe, dass wir jetzt im Sommer auch  was Passendes finden, das euch in Deutschland vor der Kälte schützt. Nelson soll Mama Mbete sagen, dass sie die warmen Sachen, die er hat, mal nachguckt und raussucht, was er davon mitnehmen kann. Das muss ich mit deinen Sachen auch noch machen, Jan“, sagt sie.

Wir machen uns auf den Weg zu Mbete’s Haus, albern unterwegs rum und freuen uns riesig, das wir zusammen so eine weite Reise machen dürfen. Nur noch drei Wochen Schule, dann beginnen die Ferien und an dem ersten Montag werden wir in den Flieger steigen, den afrikanischen Kontinent teilweise überfliegen, fast über ganz Europa hinweg bis ins ferne Deutschland, es ist kaum zu fassen. Ich kann nicht anders, ich muss Nelson umarmen, ihn drücken und dann küssen wir uns schnell auf den Mund, bevor wir weiterlaufen. Wir laufen das letzte Stück um die Wette und Nelson ist mir drei Schritte voraus, als wir das Haus erreichen.

Als wir reinkommen, sitzen alle in der Küche und sind gerade fertig mit dem Essen. „Gut, das ihr kommt“, sagt Papa Jonathan: „ wir müssen mal noch ein paar Dinge besprechen miteinander. Wenn deine Geschwister nachher draußen sind, reden wir mal miteinander. Mama und ich müssen uns an die neue Situation erst mal gewöhnen, aber ich denke, das wir das hinkriegen, nicht wahr, Mama?“ 

Mama Mbete seufzt und meint: „Ja, Papa, wir werden uns dran gewöhnen und wenn unser Junge glücklich ist, dann bin ich es auch.“ Dabei umarmt sie Nelson von hinten und drückt ihn an ihren nicht gerade kleinen Busen. „Mein Großer wird erwachsen und ist verliebt, man, wo ist nur die Zeit geblieben“, sagt sie, „ich sehe euch Beide noch am Boden krabbeln, mit Pampers am Hintern, so, als wäre es gestern gewesen“.

Als die Geschwister die Wohnküche verlassen haben, setzt Mama sich zu uns an den Tisch. „So“, sagt sie, „jetzt wollen wir mal über alles reden. Dass ihr jetzt zusammen seid, das freut uns schon, auch wenn es wohl darauf hinaus läuft, dass ihr jetzt noch mehr zusammen sein wollt, als wie das bisher war. Dafür haben wir Verständnis, aber wir wollen auch, das wir dich, beziehungsweise Euch während einer Mahlzeit pro Tag hier bei uns haben und wir sind auch nicht traurig, wenn ihr öfter  vorbei schaut.“ Papa sagt: „Wir wollen einfach, das wir euch beide täglich sehen und wissen, wie es euch geht, was in der Schule läuft und sonst noch so.“

„Papa, Mama, das ist doch selbstverständlich, wir werden das schon so machen, das ihr mit uns zufrieden seid und ich bin doch nach wie vor euer Sohn und Jan ist jetzt sowas wie ein Schwiegersohn“, ruft Nelson, „wir werden immer hier und für euch da sein, wenn ihr uns braucht.“

„Jetzt zu Eurem Urlaub, was muss denn Nelson alles mitnehmen, Jan. Müssen wir was vorbereiten, ihr fahrt ja schon in drei Wochen los. Was muss du noch kaufen, Nelson?“, will Mama Mbete wissen. „Nun, in Deutschland ist jetzt Winter, da müssen wir schon warme Sachen mit nehmen, also sollst du raus suchen, was Nelson noch hat und den Rest, der fehlt, den kaufen wir morgen in Stellenbosch mit Mama“, sage ich.

„Wir werden dir auch noch Rand geben, ich will nicht, dass Jans Eltern alles bezahlen. Das ist dann  gleichzeitig unser Weihnachtsgeschenk für dich, weil ihr ja diesmal weit weg an Weihnachten seid“,  sagt Mama Mbete „Danke, Mama“, sagt Nelson und freut sich, „ich habe ja auch noch Ersparnisse von meiner Mitarbeit im Wein. Das ist auch noch ein schöner Betrag, der sich da angesammelt hat.“  „Du wirst auch in Deutschland ein bisschen Geld brauchen, also gib nicht alles für Kleider aus“, meint Papa Jonathan, „wenn du ein bisschen sparsam bist, wird’s wohl reichen“. So erhalten wir in den nächsten zwanzig Minuten noch viele gute Ratschläge, bis wir dann endlich mit letzten Hinweisen über Safersex, (wir sind beide rot, das heißt, Nelson eher dunkler geworden)  für den Rest des Abends und der Nacht entlassen sind.

Selbstverständlich haben wir es nicht versäumt, offiziell zu fragen, ob Nelson die Nacht bei mir verbringen darf. Das wird uns dann gestattet und so machen wir uns auf den Weg zurück. Wir sagen meiner Mutter Bescheid, dass alles Ok ist und verschwinden dann auf mein Zimmer. 

Obwohl ich ziemlich sicher bin, das niemand ohne anzuklopfen herein kommen wird, schließe ich die Türe von innen ab. Nelson grinst und meint: „He, was geht denn jetzt, willst du mich verführen?“ Er nimmt mich in die Arme und küsst mich erst zart, dann immer fordernder, seine Zunge dringt in meinen Mund ein und spielt mit meiner, in meinem Bauch kribbelt es wie verrückt und noch weiter unten probt einer den Aufstand, was Nelson natürlich nicht verborgen bleibt. Es dauert nicht lange und wir liegen nackt auf meinem Bett, zärtlich schmusend und uns gegenseitig streichelnd bis die Gefühle in einem wahnsinnigen Höhepunkt über uns herein brechen.

Stoßweise geht unser Atem und nur langsam wird der Kopf wieder in das Geschehen mit einbezogen. „Wahnsinn“, flüster ich, Nelsons schlaff werdende Pracht immer noch in nasser Hand haltend, „einfach Wahnsinn!“ Seine Lippen suchen meine, ein Kuss, zärtlich und doch wie ein Stromschlag wirkend, so dass ich richtig erschaure. Alles an der süßen Grenze des Erträglichen, alles bekannte weit übertreffend, einfach gigantisch. Ich schau tief in seine fast schwarzen Augen, streichel seine Brust, sein wild pumpendes Herz spürend, verreibe die Nässe auf seinem wunderschönen Körper. So dürfte es immer sein, denke ich und schließe meine Augen. Kurz darauf zeugt gleichmäßiger Atem bei uns beiden davon, dass wir eingeschlafen sind.

Es ist dunkel im Zimmer und ich bin aufgewacht, weil ich mal dringend zur Toilette muss. Vorsichtig löse ich mich von meinem Schatz, mein Bauch und meine Haare unten sind verklebt und es ziept ein bisschen, als ich aufstehe. Gut, das ich ein eigenes, von meinem Zimmer aus erreichbares Bad habe, so kann ich nackt und ungestört in Ruhe pinkeln. Ich überlege, ob ich duschen soll, aber das Rauschen des Wassers kann man im nachtstillen Haus bestimmt hören und wer weiß, was meine Eltern dann daraus für Schlüsse ziehen. Das würde bestimmt einen peinlich witzigen Kommentar beim Frühstück nach sich ziehen, den ich Nelson und mir gerne erspare.

Kurz lasse ich Wasser über ein Handtuch laufen und entferne die gröbsten Spuren unserer ersten gemeinsamen Nacht, die zwar nicht sonderlich ausschweifend und lang, aber dafür einfach nur wunderschön war. Ich darf gar nicht daran denken, was wir noch so alles vor uns haben, welche Sachen wir noch miteinander und an einander machen werden.

Der „kleine“ Jan honoriert die Gedanken ungewollter weise mit einem Erheben des Hauptes, was mir jetzt eigentlich gar nicht so recht ist. Neben Nelson zu liegen mit einem Steifen, während er tief schläft, das grenzt schon an Folter, ist gar nicht prickelnd. Ich lösch das Licht im Bad und gehe leise zurück ins Bett. Dort drehe ich mich so, dass mein Po an Nelsons Seite liegt und ich versuche, trotz meines steifen Gliedes wieder einzuschlafen. Der ganze Tag zieht noch einmal in Gedanken an mir vorüber, die Aufregung heute Morgen, die Freude und das Glück heute Nachmittag und heute Abend. Irgendwann bin ich dann mit einem glücklichen Lächeln wieder eingeschlafen.

Das  Aufwachen, von Mutters Klopfen an der Tür und der eindeutigen Aufforderung aufzustehen eingeleitet, entpuppt sich als ein Erlebnis von bisher nicht gekannter Art. Stell dir vor, du öffnest die Augen, siehst das wunderschöne, im Schlaf glücklich lächelnde Gesicht des Menschen, den du am meisten liebst auf dieser Welt, dicht vor deinen Augen, spürst den sanften Wind seines Atems auf deinen Wangen und siehst das leichte Vibrieren seiner Nasenflügel, das ist Glück pur, ein Tagesbeginn, wie er schöner wohl kaum sein kann. Ich könnte vor Glück platzen. „Bumm, Bumm, Bumm“, dröhnen 3 Faustschläge an die Tür. Die Stimme meines Bruders ruft: „Jan, ihr sollt aufstehen, Mama wartet mit dem Frühstück. Steht auf, bevor sie sauer wird.“

Da wird es dann wohl wirklich Zeit und ich fange an, Nelson wach zu küssen. Das geht eigentlich schneller als erwartet. Er öffnet seine schwarzen Augen und strahlt mich an. „Müssen wir aufstehen“, fragt er und dreht sich auf den Rücken. Er streckt sich. „Ihhh, das klebt ja, was hast du mit mir gemacht“, sagt er und grinst spitzbübisch übers ganze Gesicht. „Los, auf wir Duschen“, sagt ich und piekst ihn in die Seite. Er wirft sich auf mich und kitzelt mich, bis mir die Tränen kommen, rollt sich über mich aus dem Bett und verschwindet im Bad.  Nichts wie hinterher, denk ich und bin schon unterwegs.

In Anbetracht der Zeitnot wird schnell geduscht. Um weitere  Aktionen zu vermeiden, duscht jeder für sich und nachdem ich ihm den Vortritt gelassen habe, ist er schon fertig angezogen, als ich mit dem Handtuch um die Hüften aus dem Bad komme. Ich beeile mich, bei dem schönen Wetter draußen brauch man eh nur höchstens drei Teile anzuziehen, um fertig zu sein. Noch schnell ein dicker Kuss und dann geht’s ab nach unten. Frühstück ist angesagt und alle warten schon auf uns, das heißt, nicht alle, Vater ist schon beim Abfüllen der Flaschen für einen Exportauftrag in die Schweiz. Mutter sagt, das Jonathan beim ihm ist und noch zwei Leute von der Sisule-Familie. Wir werden nach der Schule wegen der geplanten Einkaufstur nicht gebraucht, aber heute, am späten Nachmittag sollen wir auch helfen, meint meine Mutter.

Mama Mbete bringt das Frühstück auf den Tisch, gibt Nelson einen Kuss auf die Backe und streicht mir kurz über die Haare. „Habt ihr gut geschlafen“, fragt sie und schaut uns an. „Ja, Mama“, sagt Nelson und hält ihrem Blick stand, „sogar sehr gut.“ „Dann ist ja alles in Ordnung“, meint sie und lächelt leicht, bevor sie die Kanne mit dem Kaffee aus der Küche holt. Auch meine Mutter kann sich ein Lächeln, oder besser gesagt, ein Grinsen nicht verkneifen und ich, ich werde natürlich rot im Gesicht. Typisch Jan! Nelson tritt mir leicht ans Bein, kann sich aber dann auch ein Lachen nicht verkneifen und plötzlich prusten wir beide los. Gut, dass wir den Mund noch leer hatten, sonst wären die Krümel jetzt überall verteilt.

Die Zwillinge verstehen natürlich nicht, warum wir so lachen müssen. Mutter wechselt geschickt das Thema und fragt die beiden, ob ihre Schulsachen vollständig sind. Nach einem etwa fünfzehn minütigen Frühstück geht’s auch schon los. „Wir müssen bei uns noch kurz halten“, ruft Nelson,  „ich muss noch mein Geld holen.“ Mutter hält dann kurz, Nelson verschwindet im Haus und drei Minuten später sind wir schon wieder unterwegs. Mutter gibt Gas und biegt wie jeden Morgen gekonnt auf die Straße nach Stellenbosch ein und nach etwa  zehn Minuten kommen die ersten Häuser in Sicht. Binnen kurzer Zeit haben wir in der Nähe der Schule erreicht und Nelson und ich gehen über den Schulhof ins Gebäude.

Den Schultag erleben wir auf Wolke 7, sitzen wir doch schon seit ewigen Zeiten zusammen, ist es nicht auffällig, wenn wir uns berühren an den Händen oder Beinen, von der Bank verdeckt. In den Pausen verhalten wir uns wie immer und bemühen uns, unsere Gefühle im Zaum zu halten. Nach der letzten Stunde sind wir dann gleich am Treffpunkt, Mutter wartet schon mit den Zwillingen im Wagen. Los geht’s und schon bald haben auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums außerhalb der alt ehrwürdigen Innenstadt einen Platz gefunden. Wir gehen zusammen durch die große Drehtür in den Vorraum.

Wir bleiben zunächst zusammen und suchen die Kleiderabteilung auf. Bald schon stellen wir fest, dass Wintersachen im Moment fast gar nicht vorhanden sind. Nur einige wenige Stücke an warmer Oberbekleidung hängen ziemlich in der letzten Ecke auf einem Ständer und ein kleines Regal mit diversen Pullovern ist auch da. 

Mit etwas Glück und nach einigen Anproben haben wir für Nelson und mich sowas wie eine Erstausstattung gefunden. „Alle, was wie hier jetzt nicht bekommen und was ihr nicht zu Hause noch habt, müsst ihr dann in Deutschland besorgen, Wintersachen könnt ihr ja dort besser kaufen, da ist ja jetzt Winter“, meint Mutter. In der Schuhabteilung finden wir dann noch mit sachkundiger Hilfe eines netten Verkäufers für jeden ein Paar gefütterte Schuhe, so dass wir für den Ansturm der ersten Kaltfront beim Verlassen des Flugzeugs in Deutschland gerüstet sind.

Während Mutter jetzt mit den Zwillingen noch ein paar Kleider kaufen will, gehen wir beide lieber in die Computerabteilung, um uns dort die Neuheiten anzusehen. Auf dem Weg dorthin liegt die Drogerieabteilung, und mir fällt ein, dass ich ja noch Gummis und Flutschi kaufen könnten. Zuerst bin ich ja noch mutig, aber als ich die etwa fünfzigjährige Dame an der Kasse sehe, erscheint es mir nicht mehr das selbstverständlichste auf der Welt zu sein, das noch nicht sechzehnjährige Teenager solche Sachen kaufen. Vielleicht sollen wir ja auch langsam an all die Sachen heran gehen, die verliebte Leute so miteinander machen können. Ich muss grinsen und Nelson stupst mich in die Seite. „Was grinst du so, Kleiner?“, fragt er. „Ich wollte Kondome und Flutschi  kaufen, aber bei der Tante da hab ich mich nicht getraut“, antworte ich und wir müssen beide richtig heftig lachen

Wir haben mit Mutter eine Zeit und einen Treffpunkt abgemacht und ich habe meine Uhr so eingestellt, dass sie fünf Minuten vorher ein Signal gibt, damit wir den Zeitpunkt nicht versäumen. Gern würde ich Nelson jetzt mal in den Arm nehmen und küssen, aber bei den vielen Leuten hier am Samstagmorgen lassen wir es lieber bleiben.

Nach dem ich mir dann noch für einen günstigen Preis eine Funkmaus und eine Funktastatur gekauft habe, schlendern wir zum vereinbarten Treffpunkt und warten dort. Nach knapp zehn Minuten erscheinen Mutter und die Zwillinge und gemeinsam gehen wir zurück zum Parkplatz, um von dort  zurück zum Gut zu fahren. Nach diesmal knapp zwanzig minütiger Fahrt treffen wir wieder zu Hause ein. „Ihr beiden könnt mal bei Papa reinschauen, vielleicht könnt ihr ja noch was helfen“, sagt meine Mutter, „aber bringt zuerst noch die Sachen hoch.“ 

Wir gehen nach oben, legen das gekaufte Zeug auf dem Bett ab  und fallen uns dann zunächst mal in die Arme, zärtliche Küsse tauschend, streichelnd und schmiegend den Anderen fühlend. Es ist einfach nur wahnsinnig schön, den geliebten Freund zu spüren, zu riechen, zu fühlen und zu schmecken. Nelson löst sich nach zwei Minuten, drückt sich von mir weg und sagt: „Schluss, sonst kann ich für nichts mehr garantieren. Ich möchte aber nicht, dass deine Eltern sauer sind auf uns, weil wir nicht helfen, erst recht heute nicht, nachdem deine Mutter mir die ganzen Kleider bezahlt hat. Wir verschieben all das, was wir uns im Moment wünschen, auf heute Abend und am späten Nachmittag gehen wir noch in den Pool, ein paar Runden Schwimmen.“ 

Er wendet sich von mir ab und der Tür zu und etwas verstimmt folge ich ihm nach unten, aber bereits auf der Treppe sehe ich ein, das er ja recht hat und wir noch so viel Zeit haben, unsere Liebe zu erfahren und all die Sachen zu tun, von denen wir bis heute eigentlich immer nur geträumt haben. Wir laufen beide in das Gebäude, in dem die Abfüllanlage steht und dort wird fleißig gearbeitet. 

Abfüllen, verkorken, etikettieren und verpacken sind die Arbeitsgänge, die hier hintereinander ablaufen. Das geht  teilautomatisch, das heißt, einer muss dafür sorgen, dass immer genug saubere Flaschen zugeführt werden. Die werden dann abgefüllt, das erfolgt maschinell und immer drei Flaschen gleichzeitig, und anschließend werden die Flaschen nacheinander verkorkt. Dann werden die Korken und der obere Flaschenhals überzogen und das Etikett auf geklebt.

Für den Überseeversand werden die Flaschen in Hüllen aus Wellpappe gesteckt, bevor sie in Kartons verpackt werden, immer sechs Stück in einen. Nach dem die Schutzhülle aus Wellpappe über die Flasche gestülpt ist müssen die Flaschen waagerecht aufs Band gelegt werden, damit sie verpackt werden können. Das Legen und das verpacken erfolgt von Hand und Nelson und ich haben das schon öfter gemacht. Im Moment machen das Papa Jonathan und Tambo Sisule, aber die werden wir jetzt mal ablösen, damit die mal eine Pause machen können. Eineinhalb Paletten sind schon fertig verpackt, so dass wir den Rest in den nächsten zwei Stunden auch noch fertig gepackt und dann alles auf unseren kleinen Lkw verladen haben.

Nach gut zwei Stunden, der Wein ist auf dem LKW, schickt uns Vater in den Feierabend. Jetzt werden schnell die Badesachen geholt und dann werden wir uns in den Pool stürzen. Wir entschließen uns, in meinem Zimmer angekommen, dazu, jeder ein möglichst weiten Badeshort anzuziehen. Ob das reicht, die optischen Reize, die wir aufeinander ausüben, im erträglichen Rahmen zu halten, muss sich erst noch zeigen. Zunächst sind wir noch allein im Pool, aber so nach und nach finden sich immer mehr Leute ein und es kommt sowas wie Partystimmung auf. Das lenkt Nelson und mich ein bisschen voneinander ab. Wir spielen mit einigen anderen Wasserball und die Zeit vergeht sehr schnell.

Papa, der mittlerweile auch gekommen ist, beginnt damit, den Grill anzumachen und bald darauf erscheinen Mama Mbete und meine Mutter mit verschiedenen Leckereien zum Grillen. Schnell sind ein paar Klapptische aufgestellt und Bänke geholt. Bald darauf zieht schon der gute Geruch von gebratenem Fleisch in unsere Nasen. Papa schickt mich und Nelson noch Getränke, Wein, Bier und alkoholfreie Sachen holen. Auch Gläser und Becher bringen wir mit und verteilen die Sache auf den Tischen. Eine zwanglose Poolparty mit vielen Leckereinen beginnt und erst spät am Abend, nach einem kurzen gemeinsamen Aufräumen gehen alle rein, beziehungsweise nach Hause.

Die nächsten Tage und Wochen sind erfüllt von Vorfreude, Vorfreude  auf den Trip nach Deutschland, auf das nahende Ende des Schuljahrs, auf das Weihnachtsfest und meinen 16 Geburtstag, auf die wunderbare Liebe und die Zeit, die auf uns zukommt. Wir kennen uns seit der Pamperszeit, aber jetzt lernen wir uns aufs Neue und auf eine ganz andere Art kennen, als es jemals vorher war. Es ist alles so wunderbar schön im Moment und so neu. Täglich wird die Liebe größer, schöner, intensiver, sie wächst und macht uns zu glücklichen Menschen. Die Tage vergehen wie im Flug und die Nächte, vor allem am Wochenende, gehören uns beiden ganz allein und wir wachsen in diese neue Liebe hinein, begehren einander und schenken uns Lust und Liebe.

Der Flug ist gebucht auf den 9. Dezember 04:20 Uhr von Kapstadt noch London und von da aus nach Frankfurt. Opa will uns in Frankfurt abholen,  bis in den Rheingau ist es ja nicht so weit. Am 8.. packen wir im Laufe des Tages unser Gepäck, das wir mit ins Flugzeug nehmen. Einen großen Koffer hat Papa schon vor drei Tagen auf die Reise geschickt, der dürfte schon im Rheingau angekommen sein. Natürlich geht das alles nicht ohne die guten Ratschläge der Familien vorbei und Ruhe kehrt erst ein, als wir durch das Gate in den Innenbereich gehen, zu dem nur Passagiere Zutritt haben. Nach einer Stunde etwa und einigen Kontrollen sitzen wir endlich nebeneinander in der Maschine und warten auf den Start.

Nelson ist noch nie geflogen und ich das erste und einzige Mal vor 11 Jahren, als wir Opa einmal in Deutschland besucht haben. Folglich sind wir beide etwas aufgeregt und haben auch ein wenig von dem Gefühl im Bauch, das man gemein hin als Angst bezeichnet, aber wirklich nur ein wenig. Als die Triebwerke dann hochgefahren werden, fängt die Maschine, ein großer Airbus, an zu vibrieren, es wird lauter und dann, nach Lösen der Bremsen schießt der Vogel mit einer vehementen Beschleunigung nach vorn. Nelson hat meine Hand ergriffen und schaut aus dem Fenster. Der Boden rast dahin und dann hebt der glitzernde Vogel seine Nase in den Himmel und beginnt, abzuheben. Wir fliegen! Wow, wie geil!!

Nach dem Erreichen der Flughöhe dürfen wir die Gurte lösen und ein Flugbegleiter beginnt mit der Sicherheitseinweisung. Anschließend gehen die Stewards und Stewardessen mit Getränken durch den Flieger und wir beide nehmen eine Coke. Auf einem kleinen Bildschirm, der am Sitz des vor uns sitzenden Passagiers befestigt ist, können wir Filme gucken. Zwölf Programme stehen zur Auswahl, unter anderem auch „Herr der Ringe“. Den schauen wir jetzt erst mal an, haben wir doch über neun Stunden Zeit bis nach London zu überbrücken und schlafen können wir im Moment vor Aufregung wohl noch nicht. Der Flug verläuft ohne Zwischenfälle, nach dem wir gegessen haben, sind wir doch eingenickt und erst die Aufforderung zum Anschnallen zur Landung hat uns in die Realität zurück geholt.

Landung in London, kalt und diesig ist die Luft draußen, wir sind viel zu leicht angezogen und frieren zunächst einmal heftig. In dem Raum im Flughafen, indem wir warten müssen, ziehen wir uns dann was Warmes über. Etwa dreißig  Minuten müssen wir warten, bis wir zu unserem neuen Flieger gebracht werden. Erst jetzt bekommen wir so richtig mit, wie riesig der Flughafen Heathrow ist. Auf 1600 Hektar gibt es 3 Start- und Landebahnen und 5 Terminals für Flüge in alle Welt. An Bord einer Maschine der Deutschen Lufthansa starten wir zum letzten Teil unseres Fluges und wir hoffen, dass mein Opa auch pünktlich in Frankfurt ist, um uns abzuholen.

Zwei Stunden später, gegen 16:30 Uhr, sind wir gelandet, ausgecheckt und warten auf unser Gepäck. Mutter hatte mir ein neueres Bild von Opa mitgegeben und hat auch Bilder von Nelson und mir an Opa gemailt, damit wir uns auch erkennen nach so vielen Jahren. Wir haben zwar immer mal Bilder ausgetauscht über das Internet, aber hier und jetzt bin ich froh, dass ich ein Bild dabei habe. Nachdem wir unser Gepäck auf einen Trolly gepackt haben, schieben wir mit diesem in Richtung Ausgang und sobald wir die Kontrolle passiert haben, schauen wir uns nach Opa um. Gleich darauf bemerken wir einen rüstigen Mann um die Sechzig, der, ein Bild in der Hand, zügig und winkend auf uns  zu kommt.

„Jan“, ruft er und die Freude ist ihm deutlich anzusehen, „und Du musst Nelson sein. Herzlich willkommen in Deutschland. Wir freuen uns, das ihr da seid.“ Opa Johannes ist richtig aufgeregt und er umarmt uns beide nacheinander. „Hattet ihr einen guten Flug und wie geht es den Anderen?“fragt er. „Langsam Opa, lass uns doch erst mal ankommen“, sage ich lachend, „ja, der Flug war OK, nur in London haben wir gefroren, weil wir noch Sommerkleidung anhatten. Ansonsten geht es allen zu Hause gut.“ 

Nelson beim Arm nehmend sag ich zu Opa: „Mama hat dir ja gesagt, was Nelson und mich verbindet und wir sind froh, dass wir trotzdem oder aber gerade deswegen zusammen kommen durften. Dafür bedanken wir uns bei dir und auch bei Oma, aber das werden wir ihr noch selber sagen. Und nun lass uns zum Auto gehen, für heute haben wir Flughafen genug gehabt.“ „Dann los, mir nach“, sagt Opa und ab geht es in Richtung Ausgang. Draußen wundern wir uns, dass Opa einem Taxi winkt. „Fahren wir im Taxi in den Rheingau, ist dein Auto kaputt, Opa?“,  frage ich.

„Nein, das heißt, wir fahren ein paar Kilometer mit dem Taxi, das Auto habe ich bei einem Bekannten abgestellt, unweit der Autobahn, das ist für mich besser, als wenn ich hier bei diesem Verkehr auch noch einen Parkplatz suchen und teuer bezahlen muss. So komme ich stressfrei zum Flughafen und auch wieder zu meinem Auto ohne mich aufzuregen, “ sagt Opa und setzt sich im Taxi nach vorn, während Nelson und ich hinten einsteigen, nach dem das Gepäck verstaut ist. Opa gibt das Fahrziel an und los geht es. In Frankfurt ist mindestens so viel Verkehr wie in Kapstadt, nur die teils abenteuerlich aussehenden Fahrzeuge, die dort fahren, sieht man hier nicht. 

Nelson hat meine Hand genommen und streichelt mich. Ich bin dankbar für diese kleine Zärtlichkeit und streichel seine Hand auch. Schon viel zu lange haben wir uns nicht mehr geküsst und ich bin froh, wenn wir in Opas Auto sitzen. Nach etwa fünfzehn Minuten Fahrzeit erreichen wir den Platz, an dem Opas Auto abgestellt ist. Wir laden das Gepäck um, Opa bezahlt das Taxi und dann steigen wir in Opas Wagen. Er fährt einen Audi A6, ein nobles Auto und Nelson und ich sind von diesem Gerät echt begeistert. Opa schmunzelt und guckt in den Spiegel, als wir uns beide nach hinten setzen.

Es ist jetzt 17:25 Uhr und es ist schon fast ganz dunkel und Opa lenkt den Audi in Richtung Autobahn. Nach 15 Minuten fahren wir auf die Autobahn auf und Opa fährt jetzt im dichten Feierabendverkehr in Richtung Wiesbaden. Nelsons Hand kommt im Dunkeln und legt sich auf meinen Oberschenkel. Dort fängt sie an zu streicheln und das tut mir sehr gut. Ich revangiere mich und lehn mich gleichzeitig zu ihm rüber und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Sein Geruch macht mich glücklich, ich bin süchtig danach, glaube ich. Er neigt seien Kopf ebenfalls herüber und nun kann ich nicht mehr anders, ich muss ihn küssen. Wir schmusen miteinander, genießen die Berührungen, die wir uns den ganzen Tag verkneifen mussten, streicheln uns.  Trotz Sicherheitsgurt sind wir dicht zusammen gerückt. Das Brummen des Motors, das vibrieren lässt unsere Augen schläfrig werden und aneinander gelehnt gleiten wir in das Reich der Träume.




                                           

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